Die Insel Der Tausend Quellen
rebellierte gegen ihre Absicht, aufzustehen und sich anzukleiden, am liebsten hätte sie sich gleich wieder ins Bett gelegt. Aber vor ihr lag ein langer, anstrengender Tag voller Arbeit und Trauer.
Máanu war brav zur Stelle, um ihr beim Haarewaschen und Ankleiden zu helfen, wirkte aber fast noch verbissener als sonst. Auf Noras Fragen dazu gab sie keine Antwort.
»Und wie geht es dem Reverend und seiner Frau?«, erkundigte sich Nora schließlich nach den Hausgästen. Diese Frage würde Máanu beantworten müssen.
»Die Frau weint«, erklärte Máanu, »und will aufstehen und nach dem Kind suchen. Sie meint, in der Nacht hätte ihr ein Engel gesagt, dass es noch am Leben sei …«
»Das ist nicht möglich«, sagte Nora.
Máanu zuckte wieder mit den Schultern. »Aber sie glaubt es. Der Reverend hat den Backra gebeten, die Leiche suchen zu lassen. Das tun jetzt zwanzig Nigger …«
»Aber das ist verrückt«, setzte Nora an.
Es konnte immer noch gefährlich sein, in die am Tag zuvor überfluteten Gebiete zu gehen. Der Boden war überall aufgeweicht und schlammig. Es konnte leicht zu Erdrutschen kommen, gerade an den Böschungen, an denen all das antrieb, was vom Sturm entwurzelt, weggerissen oder getötet worden war.
Dann aber hielt Nora inne. Es nutzte nichts zu lamentieren, Reverend Stevens und seine Frau würden sicher nicht abreisen, bevor das Kind gefunden worden war. Insofern hätte vielleicht sogar sie die Leute zur Verfügung gestellt – schon um die Hausgäste loszuwerden.
»Der Reverend kann heute Morgen erst mal einen Gottesdienst halten«, meinte sie schließlich. »Es hilft ja alles nichts, wir müssen die Toten begraben …«
Máanu lächelte ein verzerrtes, boshaftes Lächeln. »Der Sklavenfriedhof ist überschwemmt«, sagte sie dann.
Nora hatte das Gefühl, gleich zu explodieren. »Dann wird man eben einen neuen anlegen müssen!«, erklärte sie. »Und wir sollten auch gleich über einen neuen Platz für das Dorf nachdenken. Das alte stand doch bei jedem Sturm unter Wasser, wenn ich es richtig verstanden habe. Also wäre es sinnvoll, oberhalb des Hauses neu zu bauen.«
»Darüber hat sich Backra Doug heute Morgen schon mit Backra Elias gestritten«, bemerkte Máanu.
Nora seufzte. Sie konnte sich gut vorstellen, wie das abgelaufen war.
Beim Frühstück herrschte denn auch die erwartete angespannte Atmosphäre. Doug hatte vorgeschlagen, das neue Sklavenquartier bei den Pferdeställen anzulegen. Dort würde nur ein einziges Zuckerrohrfeld, noch dazu ein gerade erst angelegtes, weichen müssen. Man konnte die Setzlinge innerhalb weniger Tage herausziehen und anderswo wieder in den Boden stecken.
Dennoch wehrte sich Elias. Wahrscheinlich vor allem deswegen, weil der Vorschlag von Doug stammte. Nora beschloss, mal wieder die Karte der Kaufmannstochter auszuspielen.
»Da, wo das Dorf bisher lag, war es natürlich praktischer«, gab sie Elias zunächst Recht. »Ebenso nah am Kücheneingang wie an den Wirtschaftsgebäuden … Die Leute würden es von den Ställen aus etwas weiter bis zur Mühle haben …«
»Aber …« Doug wollte einwenden, dass dies kaum eine Rolle spielte, aber Nora gebot ihm mit einem Blick Schweigen.
»Bedenk allerdings mal die Kosten«, sprach sie dann gelassen weiter. »Was es jetzt an Zeit und Arbeit kostet, das Quartier wieder aufzubauen …«
»Das wird Hollister bezahlen!«, drohte Elias.
Er wirkte an diesem Morgen übermüdet und schlecht gelaunt. Sollte ihm das gestrige Drama doch nähergegangen sein, als Nora gedacht hatte?
»Schon möglich. Aber auch dann, wenn es nächstes Jahr wieder passiert? Dann wird er dir vorwerfen, die Hütten nicht verlegt zu haben. Und außerdem gab es bisher bei praktisch jedem Hurrikan Schäden an den Sklavenquartieren, nicht wahr? Jedes Jahr neu anfallende Reparaturarbeiten. Ich glaube nicht, dass sich das rechnet, Elias. Die einzige Alternative wäre, Dämme und Gräben zu bauen wie Hollister und das Sklavenquartier trockenzulegen.«
»Aber das kostet ein Vermögen!«, erregte sich Elias. »Allein der Kerl aus England …«
»Du solltest das einfach mal in Ruhe durchrechnen«, meinte Nora freundlich. »Du musst es nicht heute entscheiden. Lediglich das mit dem Friedhof …«
Der Morgen nach dem Hurrikan war regnerisch, aber es wurde trotzdem schon wieder warm. Die im Stall aufgebahrten Leichen mussten unter die Erde. Elias ließ sich schließlich überreden, einen neuen Sklavenfriedhof hinter den Ställen zu erlauben. Der
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