Die Insel Der Tausend Quellen
zumal das wirtschaftlich unklug gewesen wäre. Cascarilla Gardens hatte im letzten Jahr gute Gewinne erzielt, aber die anderen Pflanzer hatten ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass sie seine unkonventionelle Leitung der Plantage absolut nicht schätzten. Ein Pflanzer, der kaum komfortabler wohnte als die Schwarzen, eine Pflanzung ohne Aufseher mit Sklaven, denen es freigestellt war, die Sonntagsgottesdienste zu besuchen, die heiraten durften, indem sie gemeinsam über einen Besen sprangen – ein Brauch, von dem Doug aus Virginia gehört und den er für seine Leute übernommen hatte. Die Eheschließung wurde dadurch zu einem ausgelassenen Fest für die gesamte Sklavensiedlung.
Bislang hatte man dem Erben von Fortnam diese Extravaganzen nachgesehen. Aber nun war die Trauerzeit vorbei, und er würde zu konventionellerem Verhalten zurückfinden müssen. Wenn nicht, drohte ihm die Ausgrenzung. Die Pflanzer würden ihn nicht mehr bei Preisverhandlungen hinzuziehen und keine Schiffe mehr gemeinsam mit ihm chartern, um die Ware nach England zu bringen.
So war Doug nichts anderes übrig geblieben, als einen jungen Schotten als Aufseher einzustellen. Ian McCloud war ein verarmter Adliger – seine Geschichte erinnerte Doug an Noras geliebten Simon. Auf jeden Fall war Mister Ian, wie er sich von den Sklaven nennen ließ, wobei er peinlich auf korrekte Aussprache und keine Verballhornung zu Backra Ian achtete, ein ähnlicher Traumtänzer. Der junge Mann setzte die Regel ad absurdum, dass Rothaarige im Allgemeinen und Schotten im Besonderen lebhaft und aufbrausend wären. Stattdessen war er grüblerisch veranlagt und verbrachte den Tag gern lesend unter einer Palme, während die Sklaven ihre Arbeit in bewährter Manier selbst organisierten. Ian McCloud wäre nie auf den Gedanken gekommen, irgendjemanden auszupeitschen, und er lauschte dem Sonntagsgottesdienst mit der Ergriffenheit eines wahren Christen, statt die Häupter der anwesenden Sklaven zu zählen.
Mit ihm kam seine Gattin Priscilla, ihres Zeichens ein Medium, wie sie Doug gleich wissen ließ. Ungefragt nahm sie Kontakt mit den Geistern von Elias und Nora Fortnam auf und bestellte dem jungen Mann herzliche Grüße aus dem Jenseits. Doug wusste nicht, ob er darüber lachen oder sie tadeln sollte – und kämpfte mit dem gänzlich unrealistischen Traum, sie Noras Geist beschwören zu lassen. Aber dann behielt er doch seinen klaren Kopf: Zweifellos hatten mindestens drei Hühner ihr Leben dafür lassen müssen, dass Elias Fortnams Duppy vom örtlichen Obeah-Mann gebannt wurde. Kwadwo würde vehement abstreiten, dass er trotzdem noch jemandem erscheinen konnte. Und wenn doch, dann würde er wohl eher vor Wut über Dougs Eigenheiten schäumen, statt ihm artige Grüße zu übermitteln. Doug verbuchte Priscillas Visionen unter Überspanntheit und ging der jungen Frau aus dem Weg.
Das würde natürlich einfacher sein, wenn das Herrenhaus erst wieder stand. Doug seufzte. Nora hätte ein Neubau im Kolonialstil gefallen. Er beschloss, das Haus in ihren Lieblingsfarben streichen zu lassen. Er würde ihren Vater danach fragen müssen. Seit Doug seine traurige Pflicht erfüllt hatte, Thomas Reed vom Tod seiner Tochter zu benachrichtigen, standen der junge Pflanzer und der Kaufmann in regem Briefkontakt. Es schien beiden zu helfen, sich über Nora auszutauschen. Doug berichtete davon, dass die schwarzen Frauen ihr Grab pflegten, und Reed erzählte von Noras Kindheit in London. Er mochte inzwischen ahnen, dass Doug und Nora mehr verbunden hatte als eine angeheiratete Verwandtschaft, seine Briefe klangen oft seltsam tröstend. Aber natürlich würde er dieses Thema niemals ansprechen. Ebenso wenig wie Doug ihm von Noras wenig glücklicher Ehe berichtet hätte. Thomas Reed fiel es schon schwer genug, sich damit abzufinden, dass seine einzige Tochter in der Fremde den Tod gefunden hatte.
Und auch Doug Fortnam war weit davon entfernt, über Noras Verlust hinwegzukommen.
KAPITEL 6
N ora war nach über einem Jahr Gefangenschaft in Nanny Town der Verzweiflung nahe. Am Anfang hatte sie auf einen Angriff der Weißen gehofft – umso mehr, als sie Nannys und Quaos Anstrengungen zur vermehrten Verteidigung bemerkte. Die Geschwister rechneten mit einem Vergeltungsschlag – und einem weit heftigeren als die üblichen Strafexpeditionen der Pflanzer. Nora registrierte, dass sie mehr Wachen aufstellten, den Zaun um die Siedlung erhöhten und Krieger zum Schutz der dort arbeitenden Frauen und
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