Die Insel Der Tausend Quellen
verkaufe.«
Übers Jahr gab es drei neugeborene Kinder auf Cascarilla Gardens.
Von Kindern wimmelte es auch in Nanny Town, allerdings gab es kaum Kräuterfrauen. Granny Nanny war fast die Einzige, die sich auf Geburtshilfe und Krankenpflege verstand, und auch was sie leistete, reichte nicht wirklich an die Kenntnisse der Baarm Maddas auf den Plantagen heran. Nora bemerkte das bald, obwohl natürlich keine der schwarzen Frauen die Weiße ins Vertrauen zog. Allerdings hatte sie viel Zeit, die Frauen zu beobachten, schließlich schickte Akwasi sie gleich nach Zaunbau und Rodung mit ihnen aufs Feld. Noras Martyrium in Nanny Town trat damit in eine neue Phase ein, denn jetzt beschränkten sich die Frauen nicht mehr darauf, sie zu beobachten und ihr Ungeschick bei alltäglichen Dingen wie dem Flechten von Matten zu belachen. Stattdessen ließen sie die Weiße ihren Status als Sklavin spüren.
»Wir brauchen das Zuckerrohr jetzt nicht mehr selbst zu schneiden!«, verkündete eine bildschöne Ashanti, anscheinend die Wortführerin der jüngeren, noch unverheirateten Frauen. »Dafür haben wir unsere Sklavin!«
Lachend drückte sie Nora eine stumpfe Machete in die Hand und wies auf das Zuckerrohrfeld der Siedlung. In Nanny Town wurde ebenfalls Zuckerrohr angebaut, wenn auch nicht im gleichen Ausmaß wie auf den Plantagen. Eigentlich bestritt man damit nur den eigenen Bedarf an Zucker und Alkohol – wobei Nanny und Quao die Destillerie wohlweislich kontrollierten und nur begrenzte Mengen Schnaps an die Bewohner der Siedlung verteilten. Der Großteil der Felder von Nanny Town diente dem Anbau von Nahrungsmitteln, von Yamswurzeln bis Maniok über Getreide und Früchte. Die Arbeit auf diesen Feldern oblag traditionell den Frauen und war auch nicht allzu schwer – sofern man körperliche Arbeit bei der landestypischen Hitze und der hohen Luftfeuchtigkeit gewöhnt war. Die stolzen Ashanti-Männer sahen nicht ein, dass sie bei der Zuckerrohrernte helfen sollten. Sie ließen die Frauen damit allein, die sie wiederum den jüngeren Mädchen aufdrückten. Und die zwangen jetzt Nora, die Machete zu schwingen.
»Nun mach schon, Sklavin!«, lachten die Mädchen und schlugen mit Peitschen aus Palmwedeln auf Nora ein.
Das hinterließ keine Striemen, tat aber dennoch weh und war demütigend. Zumal Nora tat, was sie konnte. Sie hegte am Anfang die Hoffnung, den Frauen vielleicht durch unermüdlichen Arbeitseinsatz imponieren zu können. Sie mussten sie doch anerkennen, wenn sie sahen, dass sie nicht versuchte, sich vor niederen Arbeiten zu drücken. Nun erkannte sie allerdings bald, dass sie dieser selbst gestellten Aufgabe nicht gewachsen war. Nach wie vor verursachte die unverwandt auf sie herabbrennende Sonne ihr Kopfschmerzen, und die Hitze ließ sie mit Schwindelanfällen kämpfen. Es war etwas anderes, ob man im Klima von Jamaika ausritt, spazieren ging und Kranke pflegte oder ob man mit einer Machete auf widerspenstiges, hartes, mannshohes Gras einhieb.
Nora war schon nach wenigen Minuten schweißgebadet, ihr Kleid klebte am Körper, und immer wieder verhedderte sie sich in ihren Röcken – wobei diese sie immerhin mehrfach davor bewahrten, die Machete statt ins Zuckerrohr in ihre eigenen Beine zu schlagen. Sie hatte nie geglaubt, dass sich die Sklaven die Verletzungen absichtlich zuzogen, die sie auf Cascarilla Gardens so oft behandelt hatte. Aber ihr war auch nicht bewusst geworden, wie schnell so ein Machetenschlag danebenging. Irgendwann empfand sie es fast als Glück, dass die Mädchen sie mit einem derart stumpfen Messer ausgestattet hatten. Es machte die Arbeit mühsam, verringerte aber das Risiko, sich zu verletzen.
Nora kämpfte um ihre Haltung und irgendwann auch um ihr Bewusstsein, während die Sonne stieg und die Mädchen sie kichernd beschimpften und schmähten. Ihre Hände hatten längst Blasen, ihre Füße waren wieder wund, und ihre Scham schmerzte noch nach der letzten Nacht mit Akwasi bei jedem Schritt. Das besserte sich nicht, wie sie gehofft hatte. All ihre Versuche, sich vielleicht selbst zu reiben und ein bisschen zu erregen, bevor er über sie herfiel, waren zum Scheitern verurteilt. In dem Moment, indem Akwasi zu ihr kam, verkrampfte sie sich vor Angst und in Erwartung des Schmerzes. Sie hätte ihn nur lindern können, indem sie eine Salbe auftrug, aber sie fand keine Zeit, eine solche herzustellen. Ganz abgesehen davon, dass sie nicht genug Freiheit hatte, um die Zutaten dazu zusammenzusuchen. Es gab
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