Die Insel Der Tausend Quellen
Kinder mit auf die Felder schickten. Auch die Ausbildung der neuen Bewohner wurde nicht vernachlässigt. Akwasi und die anderen Feldsklaven von Cascarilla Gardens trainierten mit Feuereifer, Gewehre gezielt abzufeuern, aber auch Speere zu werfen und ihre Messer und Stöcke so geschickt im Nahkampf zu gebrauchen wie ihre Ahnen in Afrika. Akwasi, kräftig und intelligent wie er war, tat sich in jeder dieser Disziplinen hervor. Er wurde nun wirklich zu Nanny und Quao gerufen und bewies ihnen, dass er lesen und schreiben konnte. Sehr viel besser als jeder andere Maroon – schließlich hatten auch die von Geburt an freien Schwarzen, die noch von den spanischen Sklaven abstammten, nie eine Schule besucht. Nun hielten sie den jungen Mann in allen Ehren – auch Máanu wurde aufgrund ihrer geringen Kenntnisse in den Kulturtechniken fast vergöttert.
Nora fragte sich, warum man die beiden nicht dazu anstellte, ihre Künste anderen zu vermitteln – es wäre doch einfacher gewesen, eine Schule zu gründen als zwei Stammesangehörige zu hätscheln wie Wundertäter. Hier jedoch versagte Nannys sonstiger Weitblick. Es kam ihr wohl gar nicht in den Sinn, dass Lesen und Schreiben ebenso leicht zu lernen und zu vermitteln waren wie Feldarbeit und Kriegskunst. Sie sprach von Büchern und Verträgen auch nach wie vor als von sprechendem Papier; ihr wäre nie der Einfall gekommen, sich selbst Lesekenntnisse anzueignen.
Nora kämpfte mit sich. Wenn sie sich auf den Feldern abplagte, dachte sie mehr als einmal daran, sich Nanny selbst als Lehrerin anzubieten. Sie wollte sich nicht mit dem Feind verbrüdern, aber andererseits wäre es sehr viel angenehmer, in einer Schule zu arbeiten, als hier, schikaniert von den anderen Frauen, Zuckerrohr zu schneiden. Nach wie vor zwangen die früheren Sklavinnen sie zu den anstrengendsten Arbeiten, und Nora gewöhnte sich nur begrenzt daran. Zwar war ihre Haut nun wirklich gebräunt, und der Turban schützte ihr Haar vor dem gänzlichen Ausbleichen in der Sonne, aber die Hitze setzte ihr weiterhin zu. Sie verstand jetzt die Argumente der Pflanzer gegen den Einsatz weißer Arbeiter auf den Zuckerrohrfeldern. Niemals hätten sie die Plackerei so lange durchgehalten wie die Schwarzen, erst recht nicht zehn Stunden am Tag und mit einem einzigen arbeitsfreien Vormittag in der Woche.
Immerhin entwickelte Nora zunehmend mehr Geschick im Umgang mit Macheten und Hacken, und auch ihre Füße und Hände waren nicht mehr wund. Nannys Salbe hatte Wunder gewirkt – allerdings war es wirklich eher eine Art Heilerde als eine Paste auf der Basis von Fett. Bei Noras drängendstem Problem, dem nahezu täglichen schmerzhaften Beischlaf mit Akwasi, half sie folglich nicht viel.
Noras Hoffnung, Akwasi könnte irgendwann genug von einer Frau haben, die ihn in keiner Hinsicht ermutigte, sondern nur steif und verängstigt unter ihm lag, bestätigte sich nicht. Tatsächlich schien Akwasi am Ziel all seiner Träume zu sein. Und Máanu hörte nicht auf, Nora dafür zu hassen.
So verging Woche um Woche, und Noras Hoffnung auf einen Angriff der Engländer schwand. Doug Fortnam schien keinerlei Anstrengungen zu machen, irgendetwas zu ihrer Rettung zu unternehmen. Zuerst entschuldigte sie das mit seiner Erschütterung über den Angriff – sicher fühlte er sich schuldig, weil er Nora mit seinem Vater allein gelassen hatte. Dann nahm sie an, er würde seinen Einfluss beim Gouverneur geltend machen. Sie traute ihrem Geliebten zu, nicht kopflos Strafexpeditionen zu organisieren, sondern an der richtigen Stelle energisch zu intervenieren. Vielleicht wären ja sogar Verhandlungen möglich. Nora wusste inzwischen etwas mehr über das Verhältnis zwischen Gouverneur und Maroons und konnte Nannys Verhalten einschätzen. Ganz sicher hätte die Queen keinen Krieg und keine Meuterei ihrer eigenen Leute riskiert, um Akwasi seine weiße Sklavin zu lassen!
Tatsächlich schien man Nora jedoch in Kingston vergessen zu haben. Und Doug selbst war sie wohl auch nicht wichtig genug, um eine private Rettungsaktion zu starten. Die Fortnams waren reich, er hätte zum Beispiel einen der weißen Händler fürstlich für eine Entführung belohnen können. Die kamen häufig nach Nanny Town, und Nora schöpfte immer wieder Hoffnung, wenn sie Pferde und Maultiergespanne vor Nannys Hütte stehen sah. Sie wurde jedoch stets enttäuscht – und ihre eigenen Versuche, sich vielleicht mit einem der Kaufleute in Verbindung zu setzen, vereitelte Akwasis
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