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Die Insel Der Tausend Quellen

Die Insel Der Tausend Quellen

Titel: Die Insel Der Tausend Quellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Huhn stehlen müssen wie die Sklaven für ihre Obeah-Zeremonien. Wenn ihre Lage nicht so aussichtslos verzweifelt gewesen wäre, hätte sie gelacht.
    »Missis kann gehen gleich morgen«, meinte die praktische Mansah. »Morgen sie roden Land für neue Leute …«
    Tatsächlich hatten Nannys Maroons in der letzten Woche wieder eine Plantage überfallen und neben reicher Beute zwei Dutzend befreite Sklaven mitgebracht. Seitdem herrschte Unruhe in Nanny Town. Anscheinend hatte es zwischen Quao und Nanny Meinungsverschiedenheiten darüber gegeben, ob weitere Überfälle stattfinden sollten oder nicht, und am Tag zuvor war eine Abordnung aus Cudjoe Town gekommen, deren Anführer ernstlich verstimmt war. Nora nahm an, dass es Cudjoe selbst war, also Nannys älterer Bruder. Zumindest stritten sich die drei Anführer seitdem lauthals in ihrer afrikanischen Muttersprache.
    »Und wenn so viel Feuer und so viel Leute, Missis kann leicht weglaufen. Tolo finden ist nicht schwer, meint Antonia. Fluss macht Biegung, Bach mündet rein, Missis geht bachaufwärts bis Teich bei Quelle, da Hütte von Tolo.«
    Mansah wollte wohl noch weiterreden, aber eben tauchte Akwasis kräftige Gestalt in der Tür der Hütte auf.
    »Ist das Frühstück endlich fertig?«, fragte er Nora kalt. »Du kannst dann aufs Feld gehen.«
    Akwasi frühstückte nie mit Nora zusammen – zumindest bei einigen afrikanischen Stämmen schien es nicht üblich zu sein, dass Männer und Frauen gemeinsam aßen. Natürlich war Akwasi mit keiner solchen Tradition aufgewachsen, aber es schien ihm zu gefallen, sich auf seine Wurzeln zu besinnen.
    Nora stand gehorsam auf. »Danke für deinen Besuch, Mansah«, sagte sie förmlich. »Und natürlich will ich morgen gern beim Roden helfen. Du brauchst auch wirklich keine Angst vor dem Feuer zu haben, die Männer passen schon auf. Und sonst bleibst du einfach in meiner Nähe …«
    Mansah zwinkerte ihr vergnügt zu, als sich jetzt beide erhoben. Sie verstand die List.
    »Ich nicht weggehen von Rocksaum von Missis!«, erklärte sie ernst.
    Wenn sie am nächsten Tag jemand fragte, würde sie schwören, den ganzen Tag mit Nora verbracht zu haben.
    Am nächsten Morgen wehte starker Wind, was die Brandrodungen erschwerte. Tatsächlich fanden sich deshalb mehr Männer als sonst zum Helfen auf den Feldern ein, und Mansah hatte Recht: Alles ging ein bisschen drunter und drüber. Es fing damit an, dass die noch unverheirateten Frauen den Männern Blicke zuwarfen und Scherzworte mit ihnen tauschten. Die Männer, die schon länger in Nanny Town lebten, beobachteten argwöhnisch, wie sich die Mädchen mehr oder weniger verschämt an die Neuankömmlinge heranmachten. Die Neuen tanzten und lachten berauscht von ihrer neu gewonnenen Freiheit, die nun auch noch durch den Erwerb von »eigenem« Land gekrönt wurde. Es war leicht für Nora, sich abzusetzen, als die Flammen schließlich hochschlugen – und auf ihrem Weg zu den Hühnerställen fand sie das Dorf fast verlassen. Das war auch besser so, da sich die Henne, die sie für Tolo ausgewählt hatte, absolut nicht fangen lassen wollte. Nora hatte keine Erfahrung mit Federvieh. Das Tier zu greifen dauerte recht lange und verlief vor allem nicht lautlos. Sämtliche Hühner gackerten empört, und die Henne wehrte sich heftig, als Nora sie in einen Sack steckte.
    »Es tut mir ja auch leid«, entschuldigte sie sich bei dem Tier, während sie den Jutesack zuband und sich über die Schulter warf. Sie wusste nicht, ob Tolo das Huhn lebend wollte, aber sie hatte noch nie ein Tier geschlachtet und brachte es nicht über sich, diesem kurzerhand den Hals umzudrehen.
    Schließlich kletterte sie zum Fluss hinunter. Es gab verschiedene Pfade, mehr oder weniger schwierig zu passieren, und Nora entschied sich für den steilsten und gefährlichsten. Sie hoffte, dass er weniger gut bewacht wurde als die anderen – zumal sich die Wächter auch eher auf Eindringlinge konzentrierten als auf Menschen, die Nanny Town verließen. Das war niemandem verboten – außer Nora. Es gab mehrere unter den afrikanischen Frauen, die sich fast völlig verhüllten, wenn sie ihr Haus verließen. Nora hatte gehört, dass sie irgendeinem Glauben anhingen, der das befahl – auf den Plantagen war es ihnen natürlich verboten gewesen. Hier verbargen sie jedoch ihr Haar unter bunten Schleiern, statt nur einen Turban darum zu winden, und sie hielten den Kopf fast immer gesenkt. Wenn Nora es ihnen nachmachte, würden die Wächter sie

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