Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel Der Tausend Quellen

Die Insel Der Tausend Quellen

Titel: Die Insel Der Tausend Quellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
Vom Netzwerk:
bestärkte sie in der Ansicht, dass Nanny nicht allzu viel über Heilkunst wusste. Nach dem, was man hörte, war sie noch sehr jung gewesen, als sie in Afrika geraubt wurde. Selbst wenn ihre Mutter also eine große Schamanin gewesen sein sollte – so viel konnte sie ihr da noch nicht beigebracht haben, und in all den Jahren hatte Nanny auch sicher vieles vergessen.
    Nora griff in ihre Tasche und holte eine Handvoll Kräuter heraus. Sie hielt sie immer für Mansah bereit, die seit drei Monaten zur Frau geworden war und ebenfalls stark unter Krämpfen litt. Nora pflegte ihr einen Aufguss zu machen, wenn es sie während der Arbeit überkam – sie versuchte, die anderen Frauen möglichst nicht merken zu lassen, dass Mansah bereits blutete. Denn egal, was Nanny sagte: Akwasi und Máanu war zuzutrauen, dass sie auch bei Máanus Schwester auf die Einhaltung der Bräuche der Dogon bestanden.
    »Hier«, sagte sie zu der Frau, die sie als María kannte. Ein ungewöhnlicher Name für eine Sklavin, aber Nora wusste inzwischen, dass die echten Maroons, die von Geburt an freien Schwarzen, häufig auf spanische Namen hörten. »Brüh diese Kräuter auf und lass sie zehn Minuten ziehen. Davon trinkst du drei Tassen am Tag, es wird dir helfen.«
    María beäugte die getrockneten Kräuter misstrauisch. »Du mich aber nicht wollen vergiften, weiße Frau?«
    Nora entzündete wortlos ein Feuer, obwohl die Frauen über die zusätzliche Wärme in der Mittagshitze stöhnten. Sie erhitzte Wasser, gab die Kräuter hinein, ließ sie einen Moment ziehen und nahm selbst ein paar Schlucke, nachdem das Gebräu abgekühlt war. Auch Mansah trank den Sud. Sie schüttelte sich, schluckte dann aber brav.
    »Er ist grässlich bitter, aber er wirkt gut«, erklärte die Kleine.
    Nora füllte einen weiteren Becher für María. Auch sie verzog das Gesicht, als sie den Tee zögernd trank. Vollständig überzeugt war sie wohl noch nicht, aber sie nahm immerhin an, dass Nora kaum versuchte, Mansah zu vergiften. Nach einer halben Stunde entspannte sich ihr Gesicht, und sie lächelte Nora ungläubig an.
    »Hat aufgehört!«, sagte sie verblüfft. »Hat gewirkt! Was willst du haben für Kräuter, weiße Frau? Tolo will Sack Getreide oder Ei.«
    Nora schüttelte den Kopf. »Ich habe genug Getreide und Hühner«, sagte sie.
    Zu Nannys Hochzeitsgeschenken hatten drei Hennen gehört – und zumindest was die anging, hatte die Queen Akwasis beide Frauen gleich beschenkt. Mit Möbeln und Decken, Kleidung und sogar etwas Schmuck war allerdings nur Máanu bedacht worden.
    »Aber ich … Also, ich würde mich wirklich freuen, wenn ihr aufhören könntet, mich weiße Missis zu nennen oder weiße Frau. Auch Engländer haben Namen, wisst ihr?« Nora errötete und schalt sich selbst dafür. »Meiner ist Nora.«
    María blieb nicht Noras einzige Patientin. In den nächsten Tagen kamen immer wieder Maroon-Frauen mit meist kleineren Problemen zu ihr, fast alle von Geburt an freie Schwarze. Die befreiten Sklaven misstrauten einer weißen Heilerin, und Nora konnte es ihnen nicht übel nehmen. Diese Menschen mussten alles hassen, was sie auch nur im Entferntesten an ihre Zeiten auf den Plantagen erinnerte. Die echten Maroons lehnten die Weißen dagegen nicht grundsätzlich ab. Zwar fürchteten sie sich vor Angriffen – Nora erfuhr von ihnen, dass der Gouverneur wenige Jahre zuvor sehr ernsthafte Versuche gemacht hatte, Nanny Town zu erobern –, aber sie freuten sich andererseits über den Besuch von weißen Händlern, bei denen sie Haushaltsgegenstände oder kleine Luxusgüter gegen Feldfrüchte eintauschen konnten. Weiße Frauen hatten sie vor Noras Verschleppung nie getroffen, und sie zeigten sich nun, da das Eis gebrochen war, weniger ablehnend als neugierig. Viele von ihnen hätten ihr Leben gern dem der Engländer in Kingston und Montego Bay angepasst, statt wie Nanny und die meisten befreiten Sklaven dem afrikanischen Lebensstil nachzueifern. Manche Entscheidungen der Queen, wie etwa die Erlaubnis für Akwasi, gleich zwei Frauen zu heiraten, schockierten sie geradezu. Einige waren auch Christinnen oder hingen einer stark christlich geprägten Obeah-Variante an. Nora wunderte sich nicht allzu sehr darüber, dass weiland Tolo ihre Obeah-Frau gewesen war.
    »Wir noch manchmal machen Zeremonie«, gestand María schließlich ihrer neuen Freundin. »Aber Nanny sieht nicht gern in Dorf, und in Wald wir haben Angst bei Nacht. Nanny sagt, ist besser, wenn Queen auch Obeah-Frau.

Weitere Kostenlose Bücher