Die Insel Der Tausend Quellen
Bei Ashanti so üblich.«
Bei den Ashanti schienen Frauen allgemein viel Freiheit zu genießen. Nora staunte, wenn sie davon hörte, dass sie in der Stammespolitik fast die gleichen Rechte hatten wie die Männer und dass sie sich sogar an Kämpfen beteiligten, wenn ihre Dörfer bedroht waren.
»Wir immer mussten schreien und Steine schmeißen, wenn kommen Engländer«, berichtete auch María. »Früher Männer uns dann haben versteckt, aber jetzt starkes Dorf, uneinnehmbar!«
Dieses schwierige Wort kannte nun wirklich jeder in Nanny Town – und Nora wurde immer wieder das Herz schwer, wenn sie es hörte. Es war auch nicht sehr wahrscheinlich, dass es innerhalb der Siedlung jemals zu Aufständen und Machtwechseln kommen würde. Die ursprünglichen Maroons waren zwar nicht mit jeder Entscheidung der Queen und ihrer Geschwister einverstanden, aber sie wussten zu schätzen, dass Nanny und Quao, Cudjoe und Accompong die freien Schwarzen geeint und zu schlagkräftigen Verbänden zusammengefasst hatten. Bevor die Ashanti-Geschwister kamen, hatten sie in kleineren Gruppen gelebt und waren viel herumvagabundiert. Im Großen und Ganzen gefiel María und den anderen der neue Lebensstil besser.
»Aber Nanny uns nicht macht zu Sklaven«, schwächte María ab, nachdem sie ein bisschen darüber geschimpft hatte, dass ihr die afrikanischen Gesänge der Ashanti nicht gefielen und dass sie mit Nannys Verehrung des Gottes Onyame wenig anfangen konnte. »Wenn Tolo macht Zeremonie im Wald, nicht verboten, und wenn wir beten zu Baby Jesus, nicht verboten, und auch nicht, was machen die Moslems.«
Was die Moslems machten, wusste eigentlich keiner genau. Die kleine Gruppe ehemaliger Sklaven aus Afrika, die meist Stämmen der Mandingo angehörten, blieb stets unter sich und hielt ihre eigenen Gottesdienste. Zu Marías Freude – der jungen Frau unterstand die Pflege eines der gemeinschaftlich genutzten Hühnerställe – brauchten sie dafür keine Hennen. Ihre Frauen fielen nicht weiter auf, außer dass sie sich nicht an dem oft etwas schlüpfrigen Geplauder der Maroon-Frauen über die nächtlichen Leistungen ihrer Männer auf der Schlafmatte beteiligten. Aber sie pflegten fünfmal am Tag zu beten und ihr Haar unter Schleiern oder kunstvoll gebundenen Turbanen vollständig zu verstecken. Nanny duldete die drei oder vier Familien und die fünf oder sechs allein lebenden Männer, die ihren Glauben aus Afrika mitgebracht hatten und trotz der Zwangsgottesdienste auf den Plantagen und der Versuchungen der lebensfrohen Obeah-Zusammenkünfte daran festhielten. Sie schätzte besonders die Männer, die sich nie betranken – sie wurden in den entlegensten Außenwachposten eingesetzt, da nicht die Gefahr bestand, dass sie heimlich Bier oder gar Schnaps herstellten und dann womöglich einen Angriff der Weißen verschliefen.
Noras neue Gefährtinnen wurden nicht müde, sie für ihr undankbares Dasein als Akwasis Zweitfrau zu bedauern, aber Nora selbst war damit recht zufrieden. Es ging ihr jetzt weitaus besser als in der ersten Zeit in Nanny Town. Sie begann sogar, sich ein wenig auf das Kind zu freuen, das sich in ihrem Bauch bewegte und lebhaft strampelte. Offensichtlich hatten ihm weder Noras mangelnde Ernährung am Anfang der Schwangerschaft noch Akwasis Schläge in ihren Bauch etwas geschadet – und Nora befürchtete auch nicht, dass es ganz allein aufwachsen würde. María und die anderen Maroon-Frauen hatten alle Kinder und würden sie sicher mit Noras Sohn spielen lassen – oder mit ihrer Tochter, obwohl Akwasi das für völlig undenkbar hielt. Er schien nicht mit weiblicher Nachkommenschaft zu rechnen, wieder ein Beweis für Tolos These, dass er eher wie ein Weißer dachte und fühlte als wie ein Ashanti. Bei Letzteren galt eine Frau schließlich fast so viel wie ein Mann. Immerhin habe Akwasi inzwischen zwei Eisen im Feuer, wie Tolo grinsend bemerkte, als sie Nora einmal besuchte. Einige Monate nach der Hochzeit war auch Máanu schwanger geworden und trug ihren noch beinahe flachen Bauch stolz herausgestreckt, als habe sie da etwas geschafft, was vorher noch nie einer Frau gelungen war.
»Werden Sie kommen, wenn mein Kind geboren wird?«, fragte Nora die alte Obeah-Frau ängstlich, als sie sich wieder auf den Weg in ihr Exil im Dschungel machte.
Tolo schüttelte den Kopf. »Ach was! Bis ich hier sein kann, ist das Kind längst da. Du bist gesund und stark, du wirst es gut machen. Und Nanny wird ja helfen …«
Bei Pretty ist Nanny
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