Die Insel Der Tausend Quellen
vor kämpfte sie mit Übelkeit.
Erstaunlicherweise schien es Granny Nanny ähnlich zu gehen. Die Ashanti-Queen wirkte bleich und mitgenommen, als sie eine Stunde später aus ihrer Hütte kam – die Kräuterdämpfe und der infernalische Lärm, der seit Tolos Eintritt in der Hütte angehalten hatte, schienen ihr zu Kopf gestiegen zu sein. Die Frauen intonierten traditionelle Lieder, in die sich zumindest für Noras Ohren auch Schreie zu mischen schienen. Fast als litte jemand Schmerzen. Aber Nora hatte genug mit ihrem eigenen Unwohlsein zu tun, um die Liturgie afrikanischer Hochzeitsriten zu analysieren. Schon seit Tagen erklangen fast unausgesetzt Trommeln, deren monotones Einwirken auf das Trommelfell jedes normale Hörvermögen abtötete.
Nora beachtete die Queen denn auch nicht weiter, schon weil inzwischen das Fest begann und es ihr und den noch unverheirateten Maroon-Mädchen oblag, die Feiernden zu bedienen. Nora brachte Akwasi, der wie geistesabwesend dasaß, Fleisch, Fladenbrot und scharf gewürzte Pasten und Ragouts aus Hülsenfrüchten. Die Queen redete auf Quao und einige andere, aus Afrika stammende Ashanti-Frauen ein. Die Afrikaner stritten mal wieder um irgendetwas. Nora hörte nicht hin. Sie war müde, ihr Rücken schmerzte, und sie sehnte sich nur noch nach etwas Ruhe und vielleicht einem Gespräch mit Tolo. Sicher kannte die alte Heilerin ein Mittel gegen ihre Übelkeit. Aber Tolo hatte Nannys Hütte noch nicht verlassen. Langsam fragte sich Nora, was sie dort wohl tat und warum auch Máanu nicht herauskam. Aber vielleicht war es ja üblich in Afrika, Mann und Frau vor der Hochzeit zu separieren. Nora hatte zu viel zu tun, um sich darüber Gedanken zu machen.
Erst als der Abend bereits fortgeschritten war, fand sie ein halbwegs ruhiges Plätzchen, und sie meinte nun auch, etwas Brei und Eintopf vertragen zu können. Als sie eben den Löffel in die Schale steckte, hörte sie ein schwaches Weinen, und jemand zupfte an ihrem Rock.
»Missis … Missis müssen gehen zu Máanu. Frau, Hexe, hat was Schreckliches getan, sie schreien und weinen und bluten. Sagen alle, wäre nicht schlimm und dass ich bleiben müsste bei ihr, weil Schwester. Aber ich glaub, ist sehr schlimm, ich gern zeigen Missis … bitte, Missis …«
Die Kleine wirkte erschüttert, sie war totenblass und verängstigt.
Nora nahm sie in den Arm. »Máanu wird mich aber nicht bei sich haben wollen, egal, was ihr geschehen ist«, meinte sie. »Und wenn Tolo bei ihr ist, wird sie ja auch sicher gut versorgt.«
Mansah schüttelte heftig den Kopf. »Hat ja selbst geschnitten, Hexe Tolo! Mit Messer. Máanu sagt, muss so sein. Gehört zu Hochzeit. Aber kann doch nicht, Missis, oder? Ich immer gedacht, Hochzeit schön!«
»Sie sollte es zumindest sein«, seufzte Nora.
Sie war neugierig geworden. Was konnte Tolo Máanu angetan haben? Oder was hatte Máanu gewollt, das Tolo ihr antat? Denn Tolo war ihre Mission widerstrebend angegangen, das wusste sie schließlich.
»Also schön, Mansah, ich gehe mit und biete Máanu meine Hilfe an. Aber sie wird mich rauswerfen, das weiß ich jetzt schon. Ich mache es nur, damit du dich nicht fürchtest.«
Nora erwartete jeden Moment, von einer der anderen Frauen oder auch einem der Männer, die auf dem Versammlungsplatz feierten, angesprochen und aufgehalten zu werden. Aber inzwischen hatten alle dem frisch gebrauten Getreidebier und dem Zuckerrohrschnaps reichlich zugesprochen. Die meisten Gesänge waren verstummt, und viele der Feiernden wirkten schläfrig. Nur ein paar ganz Unermüdliche tanzten noch um die Feuer, aber die hatten sowieso keinen Blick für das ängstliche kleine Mädchen und die weiße Frau, die sich jetzt Nannys Heim näherten. Mansah schob die Decke beiseite, die vor dem Eingang hing.
»Máanu?«, fragte sie schüchtern, und dann aufgeregter: »Máanu! Sie ist tot, Missis, bestimmt ist sie tot!«
Nora, die hinter ihr in den Raum spähte, sah Máanu im Kerzenlicht auf einem Deckenlager. Die junge Frau hatte die Augen geschlossen und wirkte bleich, war aber nicht tot.
»Psst, sie schläft endlich. Weck sie bloß nicht wieder auf !« Tolo kam an die Tür und gebot dem verängstigten Kind Schweigen. »Ihr fehlt nichts weiter, Mädchen, sie hat es gut überstanden. Ich habe ihr auch gleich einen Schlaftrunk gegeben, aber da draußen herrschte ja solch ein Krach, sie kam gar nicht zur Ruhe … und es tut natürlich weh.«
»Was ist denn passiert?«, fragte Nora und schob sich jetzt
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