Die Insel Der Tausend Quellen
so weit raus aus den Bergen trauen sie sich selten. Eher plündern sie kleinere Pflanzer aus, die mehr im Inland siedeln.«
»Aber sie bieten Ihren weggelaufenen Sklaven doch Unterschlupf, oder?«, hakte Roundbottom weiter nach.
Fortnam schenkte sich gelassen Wein nach und füllte auch Noras Glas, bevor er antwortete. »Mal so, mal so. Manchmal liefern sie die auch aus. Gegen Geld natürlich. Die Neger sind ja auch nicht alle eine große, glückliche Familie. Am besten passt man auf, dass keiner wegläuft.«
Nora beschloss, das Thema zu wechseln. Sie wollte nicht über Sklaven reden, es wäre so viel schöner, mehr über die Insel zu erfahren.
»Es gibt noch Mangrovenwälder auf Jamaika, nicht wahr?«, erkundigte sie sich mit sanfter Stimme.
Fortnam lachte. »Das ist richtig, Miss Reed, sprechen wir von angenehmeren Dingen. Jamaika ist ein Paradies, wenn Sie tropische Pflanzen mögen, Vögel, Blumen, Schmetterlinge … Wir haben die größten der Welt, wussten sie das?«
Nora hatte es nicht gewusst, wäre aber mehr als bereit gewesen, den Ritterfalter auch auf ihrer Trauminsel anzusiedeln.
»Mangroven wachsen oft entlang der Küste – das wechselt ganz plötzlich, es ist fast etwas unheimlich. Das Meer, der Strand – und gleich dahinter beginnt der Dschungel.«
Nora nickte. Genau so hatte es auf ihrer und Simons Insel ausgesehen.
»Palmen?«, fragte sie begierig.
Fortnam nickte. »Aber ja. Zig verschiedene Sorten – sollen aber von den Spaniern auf die Insel gebracht worden sein. Einheimisch sind eher Farne und Zedrelen – und eben unsere Cascarilla, ein kräftiger Strauch oder auch Baum, aus der Rinde werden ätherische Öle gewonnen. Dann Mahagoni, Blauholz … sehr viele blühende Büsche … Ganze Teile der Blue Mountains sind noch völlig unberührt, manchmal haben wir Botaniker zu Besuch, die entdecken jedes Mal neue Pflanzen.«
Nora lauschte mit leuchtenden Augen.
»Und was führt Sie nun her, Mr. Fortnam?«, erkundigte sich Lady Margarets Gatte. »Lassen Sie mich raten, Sie sind auf der Suche nach einer hübschen kleinen vergessenen Grafschaft, um dann Ihre Insel im Parlament zu vertreten.«
Fortnam lachte dröhnend. »Nein, Lord, das gewiss nicht! Ich trag einen ehrlichen Namen, und den wollt ich auch behalten. Während ihr hier aufpassen müsst, dass dem guten alten England überhaupt noch Parlamentssitze bleiben. Die Kerle in Barbados kaufen sich glatt noch den Königstitel, wenn ihr dem nicht langsam Einhalt gebietet!«
Nora lächelte schüchtern. Es gefiel ihr nicht, dass ihr neuer Bekannter Sklaven hielt, aber immerhin schmückte er sich nicht mit fremden Adelstiteln wie viele andere der Pflanzer.
»Jedenfalls ist das Zuckerkartell hier ausreichend vertreten, die Preise sind in Ordnung.«
»Die Preise sind der reinste Wucher!«, erklärte MacDougal und schaute missgünstig auf seine Frau, die sich eben freigebig Zucker in den Kaffee rührte, den der Diener inzwischen serviert hatte. »Wenn das so weitergeht, versuch ich’s mit Gewächshäusern!«
Fortnam grinste. »Lassen Sie sich nicht abhalten, Gnädigster. Aber bedenken Sie, wie hoch die Pflanzen werden. Denen müssten Sie halbe Schlösser aus Glas bauen. Ob sich das lohnt? Und Ihre Bauern statten Sie dann mit Macheten aus statt Sensen? Oder wollen Sie Neger importieren? Das kostet auch, mein Lieber, machen Sie sich nichts vor! Am Ende freuen Sie sich, wenn Sie unsere Preise zahlen dürfen!«
Der Lord verzog ein wenig das Gesicht, ertrug dann aber gutmütig das Gelächter der anderen. Schließlich lud Lady Margaret den Pflanzer für die nächste Woche zu einer Abendgesellschaft in ihr Stadthaus.
»Wir würden Ihnen gern weitere Mitglieder der Londoner Gesellschaft vorstellen«, sagte sie liebenswürdig. »Wer weiß, vielleicht finden sich ja noch Interessenten für das Glashauskartell meines Gatten, und Sie können uns wertvolle Tipps geben.«
Fortnam sagte lachend zu. »Allerdings wird mir die charmante Tischdame fehlen«, bemerkte er mit Blick auf Nora, die wieder unter ihrer Schminke errötete.
»Miss Reed können Sie sich ja mitbringen!«, meinte Lady Margaret mit sehr zufriedenem Gesichtsausdruck. »Wenn Nora Sie begleiten möchte, werden wir sie mit Freude empfangen. Sie sind natürlich auch eingeladen, Thomas.«
Nora biss sich auf die Lippen. Sie konnte kaum Nein sagen, ohne Mr. Fortnam zu beleidigen. Und sie wusste auch gar nicht, ob sie es wollte! Dieser Abend war seit Monaten der erste, den sie beinahe genoss. Sie
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