Die Insel Der Tausend Quellen
musste aufpassen, nicht davor zurückzuschrecken, seit Simons Tod war ihr nie ein Mann so nahe gekommen. Aber Elias’ Lippen waren trocken und streiften ihre Haut wie beiläufig. Nora hatte erneut das irritierende Gefühl, dass er nur eine Puppe küsste. Die Berührung löste nichts in ihr aus, sie empfand keine Erregung – aber auch keine Furcht.
Die Vorbereitungen auf die Hochzeit ließ Nora denn auch gleichmütig über sich ergehen. Es schien fast, als sei jeder rund um sie herum sehr viel aufgeregter und brächte mehr Begeisterung dafür auf als die Braut selbst. Nora machte ihren Bekannten und der Dienerschaft die Freude, sie nach Gutdünken schalten und walten zu lassen. Sie erhob keine Einwände gegen den Entwurf der Schneiderin für ein mit Spitze, Schleifen und Volants überfrachtetes Hochzeitskleid, in dessen Schärpen, steifen Kragen und Reifröcken sie sich kaum würde bewegen können. Lady Margaret MacDougal organisierte aufgeregt und voller Überschwang den Ball und das Bankett – Nora hatte das Gefühl, dass zum Auflisten der Speisefolge keine einfache Karte reichen, sondern eine altrömische Schriftrolle zur Hilfe genommen werden müsste. Ein kleines Orchester würde zum Tanz aufspielen, Schautänze wurden geprobt und Tanzmeister engagiert.
Bei alldem hatte Nora das seltsame Gefühl, sich selbst immer mehr zu verlieren, aber trotzdem auf dem richtigen Weg zu sein. Wie so oft hatte sie die Empfindung, dass Simon sie rief und dass sie dem Ruf nun endlich folgte.
Zwei Tage vor der Hochzeit besuchte sie noch einmal das Grab ihres Geliebten. Wortlos und hilflos stand sie vor der aufwändigen Steinplatte, die ihr Vater für die Abdeckung in Auftrag gegeben hatte. Wie immer fühlte sie nichts. An diesem Ort war seine Seele nicht verankert. Wenn sie Nähe zu seinem Geist wollte, musste sie ihn woanders suchen. Nora fühlte eher Hoffnung als Trauer, als sie den Friedhof verließ.
Am selben Tag nahm sie das Samtband mit Simons Siegelring vom Hals. Sie konnte ihn nicht länger tragen, Elias würde Fragen stellen. Also legte sie ihre kostbare Erinnerung in eine Samttasche und verbarg diese in ihrem Nähetui. Elias würde sie hier niemals finden, aber Nora konnte danach greifen, wann immer es ihr beliebte. Sie würde auch Simons Bücher mit nach Jamaika nehmen, das Hausmädchen hatte sie bereits eingepackt. Unter ihren eigenen fielen sie nicht auf, die Dienerschaft konnte nicht lesen, und ihr Vater hatte die Hinterlassenschaft des Simon Greenborough längst vergessen.
KAPITEL 4
D ie Hochzeit gestaltete sich dann sehr festlich. Noras Verbindung zu dem viel älteren Pflanzer wurde von der Londoner Gesellschaft unerwartet freundlich aufgenommen. Der Klatsch hielt sich in Grenzen, und zum Ball kamen alle, die Rang und Namen hatten. Lady Margaret hielt Hof als Vertreterin der Brautmutter, Thomas Reed nahm Glückwünsche und Komplimente zu seiner wunderschönen Tochter entgegen.
Nora trippelte wie eine Marionette durch die Festgesellschaft – ihr blieb gar nichts anderes übrig. Bei normalen Bewegungen wäre ihr Haarschmuck, ein Diadem aus Bändern und Schmucksteinen, verrutscht, Reifrock und Schleppe hätten die Möbel umgeworfen. Elias führte sie auch nur durch ein kleines Menuett zur Eröffnung des Tanzes, danach konnte sie still sitzen und alles an sich vorbeirauschen lassen. Am Ende waren ihre Gesichtsmuskeln vom Lächeln verkrampft, ihre Schultern schmerzten von der Anstrengung, sich trotz des schweren Kopfschmucks aufrecht zu halten, und das Essen lag ihr schwer im Magen, den das Korsett einengte.
Elias sah sehr gediegen aus, passend zu ihrem Kleid hatte auch er sich nach französischem Stil mit Kniehose und Schnallenschuhen ausstaffieren lassen, sein Jackett war aus cremefarbenem Brokat. Nora fand, dass sie wie ein Königspaar wirkten. Oder wie der König und seine Mätresse? Der Gedanke entlockte ihr ein ehrliches Lächeln, das sogar Elias auffiel.
»Worüber amüsierst du dich, Nora?«, erkundigte er sich und gab damit zu erkennen, dass er sich möglicherweise genauso langweilte wie seine junge Frau.
Nora beschloss denn auch, den Gedanken mit ihm zu teilen. »Ich finde, dass ich aussehe wie Madame Pompadour«, wisperte sie ihm zu. »Muss ich auf Jamaika auch so herumlaufen?«
Elias schüttelte den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht! Obwohl die Damen natürlich die Mode nachschneidern, die im Mutterland en vogue ist. Aber so schwere Stoffe wie dieser für dein Brautkleid und so viele Röcke und
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