Die Insel Der Tausend Quellen
Schleppen – dafür ist es einfach zu heiß auf den Inseln. Natürlich brauchst du dich nicht viel zu bewegen, es gibt ja Diener. Aber dennoch …«
»Ich bewege mich eigentlich ganz gern«, bemerkte Nora, aber dann sprach ein Gast sie an, und sie musste wieder nicken und lächeln.
Die junge Frau war heilfroh, als sie der Gesellschaft endlich entkommen konnte – und Elias beugte dem Ansinnen der ausgelassenen Gäste vor, das Paar ins Brautgemach zu geleiten, indem er Nora zu einer Kutsche führte. Er hatte für die Zeit seines Aufenthaltes in London ein Stadthaus gemietet, das einem anderen jamaikanischen Pflanzer gehörte. Dort würden sie die letzen Tage vor der Abreise verbringen und auch die Hochzeitsnacht.
Peppers, der alte Kutscher, hielt Nora den Schlag jener dunklen Kutsche mit den Initialen der Reeds auf, die sie damals für Simon angehalten hatte. Nora schluckte, als sie an die Küsse dachte, die sie darin getauscht hatten.
»Meinen herzlichsten Glückwunsch dann noch, Miss … Mrs. Fortnam!« Peppers verbeugte sich.
Nora hörte zum ersten Mal ihren neuen Namen, und das Gefühl der Unwirklichkeit stieg wieder in ihr auf. Das hier war nicht sie, das geschah nicht mit der jungen Frau, die manchmal spielerisch »Nora, Lady of Greenborough« auf Notizzettel gekritzelt hatte. In Gedanken tastete sie an ihrem Hals nach Simons Ring … Sie vermisste ihn, sie hatte ihn so lange getragen, dass sie ihn fast als Teil ihres Körpers empfand. Aber nun musste sie Elias anlächeln, der nach ihr einstieg, nicht ohne Peppers vorher ein Trinkgeld in die Hand gedrückt zu haben – er wusste, was sich gehörte. Nora fragte sich, ob auch Peppers an Simon dachte.
Elias setzte sich nicht neben Nora – das wäre schon aufgrund ihres Reifrocks nicht möglich gewesen –, sondern ihr gegenüber. Er musterte sie wohlgefällig.
»Du bist wirklich eine wunderschöne Braut«, schmeichelte er ihr dann noch einmal. »Aber du wirst Hilfe brauchen, dich all dieses Staates wieder zu entledigen. Deine Zofe wird dich bereits in unseren Gemächern erwarten, dein Vater hat angedeutet, das Mädchen stünde dir recht nahe.« Das stimmte eigentlich nicht mehr – seit Simons Tod hatte sich Nora nicht nur von der Welt, sondern auch von den Dienstboten weitgehend zurückgezogen. Zu ihrer Zofe Nellie hatte sie ein freundliches, aber kein inniges Verhältnis. »Er meinte, du würdest sie vielleicht gern mit nach Jamaika nehmen. Aber das geht natürlich nicht.« Nora nickte unbeteiligt. Sie dachte an die bevorstehende Hochzeitsnacht, nicht daran, wer ihr gleich oder gar in einem Monat beim An-und Auskleiden helfen würde. Elias lächelte. »Ich bin froh, dass du es so hinnimmst. Und ich würde dir gern jede Freude machen. Aber ein weißes Hausmädchen … das gäbe nur Unfrieden mit den Negern. Oft fürchten sich diese Kammerkätzchen ja gar noch vor dem schwarzen Mann. Du wirst aber selbstverständlich eine Leibsklavin erhalten – du kannst selbst entscheiden, ob du eins unserer Mädchen schulen möchtest oder ob wir ein bereits ausgebildetes Weib kaufen.«
Nora schrak aus ihren Gedanken. »Ich werde … was?«, fragte sie verblüfft.
In diesem Moment hielt Peppers in der Einfahrt des Herrenhauses. Nicht ganz so feudal wie das der Reeds, aber auch mit Säulen und Marmorstatuen vor dem Eingang ausgestattet.
»Komm, Nora!«, sagte Elias freundlich gelassen, als Peppers den Schlag öffnete, und half ihr heraus.
Die Haustür war erleuchtet, das Personal hatte sie offensichtlich erwartet. Nora nahm mechanisch die Glückwünsche der fremden Hausmädchen, Butler und Hausdiener entgegen und atmete auf, als Elias sie in den ersten Stock geführt hatte. In einem aufwändig mit Teppichen und Seidentapeten geschmückten Ankleidezimmer wartete Nellie.
»Ich werde dich dann gleich aufsuchen«, erklärte Elias und küsste die Hand seiner Frau.
Nora ließ sich auf einem Frisiersessel nieder. Nellie öffnete ihr Kleid, entfernte den Kopfputz aus ihrem Haar und begann es zu lösen, nachdem sie ihrer Herrin aus dem schweren Manteau geholfen hatte.
»Das war eine so schöne Hochzeit!«, plapperte das Mädchen. »Und jetzt? Sind … sind Sie aufgeregt, Miss … äh … Missis?«
Nora zuckte die Achseln. Sie war eigentlich hauptsächlich müde. Aber natürlich auch gewappnet gegen Schmerz. Was sie bislang über die Hochzeitsnacht gehört hatte, war widersprüchlich. Lieder und Gedichte glorifizierten die Liebe, und angelehnt an die Sitten am
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