Die Insel Der Tausend Quellen
bildeten sie die schattige Zufahrt zu einem Herrenhaus, das Nora fast etwas enttäuschte. Ein Steinhaus, einstöckig und wuchtig, mit Mansardendach und Säulen – auch dies hätte in England stehen können. Und wie in England verhielt der Kutscher nun auch die Chaise vor dem repräsentativen Eingang, und die Dienstboten schwärmten aus, um den Herrn zu begrüßen. Sie waren durchweg schwarz und ihre Uniformen von äußerst altmodischem Schnitt – wahrscheinlich noch von Elias’ erster Frau eingeführt. Zumindest das Küchenpersonal schien die seinen auch nicht immer zu tragen, dafür wirkten sie zu wenig abgenutzt. Nora ließ die Blicke kurz über die Gesichter der Männer und Frauen schweifen. Ihre schlimmste Befürchtung bewahrheitete sich zumindest nicht. Niemand hier sah Elias Fortnam ähnlich, und es war auch niemand so hellhäutig wie Jamie in Kingston.
Nora war es von England eigentlich gewöhnt, dass man ihr die Dienstboten vorstellte, aber so weit ging Elias’ Anpassung an die Sitten im Mutterland nun doch nicht. Im Grunde wiederholte sich hier nur der Auftritt Peters: Elias inspizierte kurz die Reihe seiner Haussklaven, nickte ihnen zu und stellte Nora als die neue Missis vor, ohne ihren Namen zu nennen.
»Du lernst die Leute dann schon kennen«, meinte er zu Nora. »Wende dich in allem an Addy.«
Er wies auf eine große, stämmige Schwarze in der Schürze einer Köchin, die neben zwei schlanken jungen Mädchen stand. Eins davon, es mochte vielleicht siebzehn oder achtzehn Jahre alt sein, schob sie jetzt vor.
»Das sein Máanu, Missis … äh … Kitty. Tochter von Addy. Ich gedacht, Missis möchte als Zofe.«
Elias nickte. »Eine gute Idee, Addy«, lobte er. »Das Mädchen ist ja seit jeher im Haus und ordentlich erzogen. Aber natürlich muss die Missis entscheiden. Kitty …«, das Mädchen hielt den Blick züchtig – oder ängstlich? – gesenkt, »… ich denke, du führst die Missis zunächst in ihre Zimmer und machst dich nützlich. Wenn du ihr gefällst, kannst du die Stellung haben.«
Addy, die Köchin, strahlte über das ganze runde Gesicht, aber Kitty wirkte eher mürrisch, wie Nora feststellte, als sie endlich aufschaute. Dennoch war die junge Frau fasziniert von ihrer Schönheit. So wie dieses Mädchen hatte sie sich stets die Königin Kleopatra vorgestellt – auf eine exotische Weise aristokratisch, wenn auch vielleicht nicht ganz so schwarz. Kitty hatte eine hohe Stirn, fein modellierte, klare Gesichtszüge und eine im Verhältnis zu den anderen Sklaven eher kleine, schmale Nase. Ihre Lippen waren voll und hatten die Farbe von Heidelbeeren, die Augen sehr groß, leicht schräg stehend und erstaunlich hell. Die meisten Schwarzen hatten dunkelbraune Augen, aber Kittys waren eher walnussbraun mit goldenen Einsprengseln. Ihr Haar war auch nicht kraus wie das der meisten Schwarzen, sondern hing glänzend schwarz und fast glatt bis zur Hüfte herunter.
»Nun, wird’s bald, Kitty?«, fragte Elias unwillig.
Ihm lag wohl daran, diese Begrüßungsparade zu beenden. Nora fand es an der Zeit, nun ihrerseits die Initiative zu ergreifen.
»Vielen Dank für die Begrüßung!«, sagte sie freundlich. »Und ganz sicher werde ich mir Ihre … eure … Namen nicht gleich alle merken können. Aber stellt euch doch trotzdem kurz vor – oder vielleicht übernimmt das Addy?«
Sie lächelte der Köchin zu. Die schien das Haus ja bisher geführt zu haben, und Nora hatte nicht vor, dies in absehbarer Zeit zu ändern, sofern sie nicht auf gravierende Missstände stieß. Insofern war es besser, kein Kompetenzgerangel aufkommen zu lassen, indem sie jemandem die Möglichkeit gab, sich durch mögliche Redegewandtheit in den Vordergrund zu stellen. Das schien den Sklaven allerdings fernzuliegen. Im Gegenteil, sie waren sichtlich erleichtert, das Wort nicht selbst an die neue Missis richten zu müssen.
Die Köchin hatte da weniger Hemmungen. Stolz stellte sie Hausdiener und Burschen, Zimmermädchen und Küchenmädchen vor. Zu Letzteren gehörte auch das Mädchen neben Kitty, eigentlich noch ein Kind, wie Nora jetzt feststellte. Mandy war höchstens acht oder neun Jahre alt. Nun war das nichts Ungewöhnliches. Auch in England nahm man Hausmädchen früh in den Dienst.
Die Hausdiener – Boy und Joe – machten sich gleich nach der Vorstellung daran, Noras und Elias’ Reisetaschen aus dem Kofferraum der Chaise zu holen und ins Haus zu tragen. Der Lieferwagen mit den Reisetruhen war noch nicht eingetroffen,
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