Die Insel Der Tausend Quellen
erworbenen Statuen dazustellen und die Gemälde an die Wände hängen. Sie fragte sich, wie das die Menschen fanden, die man aus Afrika in diese Welt verschleppte.
Nach einer guten Stunde Fahrt erreichten sie Santiago de la Vega, von den Engländern kurz Spanish Town genannt. Die Siedlung war von den Spaniern gegründet worden und offiziell noch Hauptstadt der Insel, obwohl Kingston, sicher aufgrund seines Hafens, immer mehr an Bedeutung gewann. Santiago lag weiter im Inland, und bei der Anfahrt sah Nora dann auch die ersten Zuckerrohr-und Kakaoplantagen. Sie hatte von beiden Pflanzen bisher nur Bilder gesehen und staunte nun über ihre Größe.
»Das sind ja halbe Bäume!«, wunderte sie sich vor allem über das Zuckerrohr.
Elias lachte. »Botanisch gesehen sind das Gräser«, klärte er sie auf. »Was gut für uns ist, denn im Gegensatz zu Bäumen wachsen sie nach. Wenn ein Baum einmal gefällt ist, war’s das, aber das Zuckerrohr kann jährlich geschnitten werden. Leicht anzupflanzen ist es auch, sofern man über die nötigen Arbeitskräfte verfügt.«
Die Arbeitskräfte sah Nora denn auch gleich auf der ersten Pflanzung. Dutzende von Sklaven hieben auf einem Feld mit Macheten auf reife Pflanzen ein, auf einem anderen setzten sie Stecklinge. Alle waren schweißüberströmt, was kein Wunder war. Die Sonne brannte glühendheiß auf die Männer herunter. Zu jeweils zwanzig oder dreißig Sklaven gehörte ein weißer Aufseher, der meist im Schatten stand. Nora fragte sich, warum die Schwarzen ihn nicht überwältigten. Sie waren doch weit in der Überzahl und hatten Macheten! Allerdings mochte sie nicht gleich wieder fragen und konnte sich die Antwort jetzt ja auch schon zusammenreimen: Die Strafen für den Versuch einer Flucht mussten so drakonisch sein, dass die Sklaven es lieber gar nicht erst probierten.
Spanish Town wirkte etwas bunter und weniger geordnet als Kingston, der spanische Einfluss war noch deutlich spürbar. Den Mittelpunkt der Stadt bildete jedoch die neu gebaute Saint Catherine’s Cathedral. Hier hatte sich die Kolonialarchitektur nur in unwesentlichen Einzelheiten manifestiert – ansonsten war diese erste anglikanische Kirche Jamaikas von Grund auf englisch und hätte theoretisch auch in London stehen können.
Nora erhaschte an diesem ersten Tag nur einen kurzen Eindruck von Stadt und Kirche, Elias ließ nicht anhalten. Jetzt waren es auch nur noch wenige Meilen bis Cascarilla Gardens, wobei die Straße ausschließlich durch Zuckerrohrfelder führte.
»Ich hatte gedacht, unser Land läge am Meer«, meinte Nora enttäuscht.
Nach dem ersten Staunen wirkten die endlosen Pflanzungen langweilig und erdrückend, die Wirtschaftswege dazwischen staubig und trist.
Elias nickte. »Das tut es auch, aber es gibt keine Küstenstraße. Wir nähern uns also vom Inland aus. Und wir haben auch nicht direkt am Meer gebaut, das empfiehlt sich nicht, es gibt Hurrikans und Riesenwellen, die spülen das Haus glatt weg, wenn’s zu nah am Strand steht.«
Nora dachte erschrocken an den Bau ihrer Traumhütte mit Simon. Es war wohl ziemlich kurzsichtig gewesen, sie direkt am Wasser anzusiedeln. Aber andererseits war so eine Hütte ja leicht wieder aufgestellt, wenn sie doch mal weggeweht wurde. Sie lächelte.
Elias richtete sich auf. »Da wären wir übrigens«, bemerkte er. »Wir haben soeben die Grenze überschritten. Bis hier gehört das Land den Hollisters. Ab diesem Feld ist es meins. Willkommen auf Cascarilla Gardens!«
Die Hollisters waren also nicht nur Freunde, sondern vor allem Nachbarn, registrierte Nora. Oder ob sie hier gar kein Haus besaßen? Das war eher unwahrscheinlich, wenn sie sich den Lebensstil anderer Pflanzer wie der Wentworths vor Augen führte. Die hatten ein Stadthaus in London, ein Landhaus in dem Sprengel, den Lord Wentworth zusammen mit seinem Adelstitel erworben hatte, und natürlich auch ihre Plantage auf den Jungferninseln. Nur Elias schien nichts davon zu halten, Häuser und Titel anzusammeln. Dabei sollte es an Geld nicht mangeln. Laut Thomas Reed war Elias Fortnam einer der vermögendsten Pflanzer der Insel.
Nora schaute erwartungsvoll um sich, sah aber nicht mehr von ihrem neuen Heim als unendliche Reihen Zuckerrohr – bis sie schließlich in eine Art Allee einbogen, gesäumt von Mahagonigewächsen, Zedern und sogar ein paar Blauholzbäumen und Palmen. Teilweise mochte man hier Urwald stehen gelassen haben, teilweise schienen die Bäume angepflanzt zu sein. Auf jeden Fall
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