Die Insel Der Tausend Quellen
war ihr nicht besonders wichtig. Sie wandte sich den Fenstern zu – und dann vergaß sie sämtliche Einrichtungsfragen. Entschlossen zog sie die Rüschenvorhänge beiseite und genoss endlich den so lang ersehnten Blick über Strand und Meer! Nicht unmittelbar allerdings, zwischen dem Haus und der Küste lagen noch der Garten und ein Waldstück. Aber vom ersten Stock des Hauses sah man darüber hinweg und erkannte einen Streifen Sand und dahinter die endlose Weite des Ozeans.
»Wie schön!«, sagte Nora fast andächtig. »Wie wunderschön!«
»Ja, Missis«, Máanu klang weniger euphorisch, aber für sie war das ja auch alles nichts Neues. »Kann ich tun was für Missis? Wechseln Kleider, machen Haar? Ich schon mal gemacht für Besuch. Zofe von Lady Hollister mir gezeigt.«
Nora setzte sich mit Bedauern an den zierlichen Frisiertisch, den Máanu ihr anwies. Eigentlich wäre sie lieber gleich durch Haus und Garten gestreift, aber von einer Lady erwartete man, sich nach einer Reise erst mal erholen zu müssen. Am Nachmittag konnte sie dann auf Entdeckungsreise gehen – nachdem sie Küche und Keller inspiziert hatte, wenn es sein musste. Englische Dienstboten würden das von einer neuen Herrin erwarten. Wie es sich hier gestaltete, sah sie dann ja.
»Mach mir das Haar nur auf, Máanu, und bürste es durch. Und dann schauen wir mal, ob wir in meiner Tasche noch einen Morgenmantel finden, der nicht feucht und zerknittert ist. Den Rest kannst du dann mitnehmen und waschen lassen. Das Zeug ist seit drei Monaten nicht richtig gelüftet worden. Bis heute Nachmittag bekomme ich doch sicher meine Reisetruhen, oder?«
»Ja, Missis«, wiederholte Máanu und ging dann zu einem der in Rosa und Hellblau gehaltenen, mit Ziereisen beschlagenen Schränke. Mit einem Griff beförderte sie einen mit großen Blumen bedruckten seidenen Morgenmantel heraus. »Gefällt Missis?«, erkundigte sie sich.
Nora wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Der Schrank war mit Kleidern gefüllt – aber ganz sicher war nichts davon für sie angefertigt worden. Offensichtlich also weitere Dinge aus dem Nachlass ihrer Vorgängerin. Es widerstrebte Nora, sich in das Kleidungsstück helfen zu lassen. Aber es roch nicht, wie sie befürchtet hatte, muffig, sondern verströmte den betörenden Duft von Orangenblüten.
»Wir gewaschen für Missis«, antwortete Máanu auf ihre stumme Frage. »Gefällt?«
Gerührt über die Fürsorge ihrer neuen Dienerinnen gab Nora auf und bereute es nicht. Die Seide schmiegte sich kühl an ihre Haut, und der Duft schmeichelte ihr nach der langen Zeit auf dem Schiff. Nora erinnerte sich an Elias’ abstoßenden Geruch in der letzten Nacht. Wahrscheinlich roch auch sie nicht gerade nach Rosen.
»Könntest du mir ein Bad bereiten, Máanu?«, fragte sie schüchtern.
Es war nach wie vor nicht üblich in der feinen Gesellschaft, allzu häufig ins Wasser zu tauchen, aber die Vorstellung, dies sei schädlich, wandelte sich doch langsam. Das ging so weit, dass Thomas Reed im letzten Jahr sogar eine kupferne Badewanne in seinem Haus in Mayfair installiert hatte. Aber ob die erste Mrs. Fortnam in so etwas Luxus oder eher Gefahren gesehen hätte?
Máanu runzelte ihre glatte schwarze Stirn. »Weiße Herrschaft nicht baden!«, erklärte sie kategorisch.
Nora seufzte. Da würde sie noch Aufklärungsarbeit leisten müssen. Aber andererseits bot Máanus Bemerkung den Hoffnungsschimmer, dass die Sklaven durchaus Badeplätze kannten. Nora beschloss, auf die Dauer irgendeinen Teich oder Fluss zu finden, in dem sie untertauchen konnte. Die Kälte sollte hier ja kein Problem sein. Vorerst bat sie um ein Becken mit Wasser und Waschlappen, wofür Máanu auch umgehend sorgte. Sie schaute interessiert zu, wie Nora ihren Körper mit dem nassen Lappen abwusch, und half ihr dann beim Abreiben des Rückens. Danach suchte sie erneut in den Schränken der früheren Mrs. Fortnam und förderte ein Hemd zutage. Nora schlüpfte widerstrebend hinein, aber Máanu hatte Recht: Es war sehr viel einladender als die während der Reise zigmal mit wenig sauberem Wasser gewaschene Unterwäsche aus ihrer Reisetasche.
»Wie lange ist … meine … äh … deine … äh … die frühere Missis … Wann ist sie gestorben?«, erkundigte sie sich schließlich bei Máanu.
Die Frage war Nora peinlich, aber es wäre noch schlimmer gewesen, sie Elias zu stellen.
Máanu zuckte mal wieder die Schultern. »Weiß nicht, Missis. Aber lange, lange her. Máanu so
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