Die Insel Der Tausend Quellen
aber mit dem Inhalt der Taschen würde man sich behelfen können. Nora wünschte sich allerdings, diesen nicht mehr sehen zu müssen. Schließlich hatte sie sich mehr als zwei Monate in der engen Kajüte damit begnügt.
»Führst du mich dann ins Haus, Kitty?«, fragte Nora ihre neue Zofe freundlich.
Sie war gern bereit, das Mädchen in Dienst zu nehmen, allerdings erschien es ihr etwas seltsam. Es sah nicht unbedingt aus, als freue sich Kitty über das Privileg, der Missis dienen zu dürfen.
Jetzt wies ihr das Mädchen den Weg, wohlerzogen einen Schritt hinter ihr gehend. Aber schon als sich das voluminöse Eingangsportal hinter den beiden geschlossen hatte, gab es sein mustergültiges Verhalten auf. Kitty richtete unaufgefordert das Wort an ihre neue Herrin – und Nora stellte überrascht fest, dass sie dies schon nach zwei Tagen in dem neuen Land verwunderte. Bei Nellie wäre es ihr ganz normal erschienen, aber die Sklaven schienen grundsätzlich nur zu reden, wenn es sich gar nicht vermeiden ließ.
»Ich nicht Kitty, ich Máanu«, erklärte Noras neue Zofe. »Und meine Mama auch nicht Addy – ich nennen Mama Adwe. Sonst Adwea. Meine Schwester Mansah …«
»Das ist das Mädchen, das mir als Mandy vorgestellt wurde, richtig?«, fragte Nora, entschlossen, Kittys – oder Máanus – Ausbruch erst mal nicht zu kommentieren. »Aber warum habt ihr mir das nicht gleich gesagt? Wäre doch besser, ich lerne sofort die richtigen Namen.«
»Backra sagt, kann man nicht aussprechen«, meinte Máanu und überschritt mit dieser Kritik an ihrem Herrn unzweifelhaft endgültig ihre Grenzen. »Muss alles sein englisch.«
Nora zuckte die Schultern. »Nun, dein Herr kann dich ja nennen, wie er will«, wies sie das Mädchen erst mal in die Schranken. »Aber ich nenne dich gern bei deinem Geburtsnamen. Máanu ist hübsch. Hat es eine Bedeutung?«
Nun war es an Máanu, unsicher die Schultern zu heben. »Ich nicht weiß, Missis. Fragen Mama Adwe. Die sicher wissen.«
Nora verkniff sich weitere Fragen, stellte aber Überlegungen an. Egal, aus welcher afrikanischen Sprache die Worte Adwea, Máanu und Mansah stammten – Máanu sprach sie offensichtlich nicht. Also kam sie wohl nicht aus Afrika, sondern war hier geboren.
Aber warum zum Teufel sprach sie dann ein derart gebrochenes Englisch?
KAPITEL 7
D ie Räume des Hauses, durch die Máanu ihre Herrin jetzt führte, boten keine Überraschungen. Auch innen entsprach die Aufteilung in etwa einem englischen Herrenhaus: Es gab eine große Halle, an die sich ein Ballsaal anschloss, kleinere Salons – und eine breite Treppe, die hinauf zu den Schlafzimmern im ersten Stock führte. Die Einrichtung erschien Nora klobig und ungelenk gestaltet – so ganz perfekt gelang den Kingstoner Tischlern wohl doch keine Imitation der fein gedrechselten und oft etwas verspielten Möbelstücke aus der Zeit des Sonnenkönigs, an denen sich die Mode noch immer orientierte. Es war bezeichnend für Elias, das nicht zu bemerken, seine Erziehung hatte ihm wohl anderes vermittelt als Sinn für Kunst und Kultur.
Umso überraschter war Nora über die Gestaltung ihrer eigenen Räume im Obergeschoss. Verblüfft betrat sie eine Art kleines Versailles. Es gab zierliche Tischchen, patiniert mit Blattgold, einen Schreibtisch mit elegant geschwungenen Beinen, gepolsterte Fußstühlchen, Stühle mit altrosa Bezügen und ein Bett mit Medaillonlehne und aufwändigen Volants. Diese Möbel waren sicher nicht in Kingston entstanden, Nora schätzte, dass sie eher direkt oder über London aus Frankreich importiert worden waren. Mit leichtem Gruseln wurde sie sich klar darüber, dass sie die liebevoll eingerichteten Räume der ersten Mrs. Fortnam betrat, ein vollständig europäisches Refugium. Nora fragte sich erstmalig, wer diese Frau wohl gewesen war. Ihr erlesener Geschmack sprach für eine Lady – hatte Elias auch sie wie eine Trophäe nach Jamaika geholt, als er endlich zu Geld gekommen war und in der feinen Gesellschaft mitreden wollte?
Nora selbst hätte ihre Räume zwar gern etwas schlichter möbliert, aber im Grunde war es ihr egal. Wichtig war erst mal, dass sie eigene Zimmer besaß – einen kleinen Salon und einen Schlafraum mit Ankleidezimmer. Ganz sicher würde Elias Fortnam in dem mit Blütenvorhängen und Spitzen verzierten Bett nicht mehr Zeit verbringen, als er brauchte, um seine ehelichen Pflichten zu erfüllen. Nora fragte sich kurz, wie seine persönlichen Räume wohl aussahen, aber auch dies
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