Die Insel Der Tausend Quellen
klein.«
Sie deutete die Größe eines ein-bis zweijährigen Kindes an. Mrs. Fortnam musste also seit mindestens fünfzehn Jahren tot sein.
»Du kannst dann jetzt gehen, Máanu«, sagte Nora schließlich. »Es war alles sehr zufriedenstellend, ich glaube, du wirst eine gute Zofe sein … Möchtest du es denn, Máanu? Wärst du gern meine persönliche Dienerin?«
Nora wusste, dass die Frage für die Sklavin seltsam klingen musste, aber sie konnte sich nicht bezähmen, sie zu stellen. Máanus Verhalten war ihr nach wie vor nicht voll erklärlich. Das Mädchen war servil und dachte offensichtlich mit. Es war auch geschickt mit Kamm und Bürste und schien ein bisschen Erfahrung zu haben. Aber als Elias ihm die Stellung in Aussicht gestellt hatte, war sein Ausdruck mürrisch und unwillig gewesen.
»Natürlich, Missis«, antwortete Máanu, aber es klang seltsam unbeteiligt. »Macht Máanu, was Missis will.«
Nora gab vorerst auf. »Schön. Dann geh nun, und erzähl deiner Mutter, dass ich sehr zufrieden mit dir bin. Und sag ihr bitte, ich käme heute Nachmittag in die Küche … also wenn es ihr recht ist … Vielleicht führt sie mich ein bisschen in den Wirtschaftsräumen herum.«
Máanu verbeugte sich und zog sich zurück, während Nora schwante, dass auch diese Formulierung dem Mädchen befremdlich erscheinen musste. Adwea war keine Wirtschafterin wie Mrs. Robbins im Hause Reed. Sie war eine Sklavin, und sie erwartete keine Bitten, sondern Befehle.
Adwea zeigte sich allerdings unbeschränkt freundlich, als Nora schließlich in ihr Reich im Souterrain vordrang. Zu ihrer Überraschung öffnete sich die Küche nach draußen, zur Meerseite des Hauses hin. Die Küchenmädchen konnten hier Abfälle leicht entsorgen, Wasser aus einem klaren, durch den Garten fließenden Bach schöpfen – und sie arbeiteten wohl auch gern draußen. Auf jeden Fall wirkte diese Küche luftiger als die Wirtschaftsräume in London. Nora fand es bedauerlich, sich hier nicht häufiger aufhalten zu dürfen. Aber dann erkannte sie, dass sich über den Wirtschaftsräumen und dem angrenzenden Nutzgarten ein Holzaufbau befand, der einer Terrasse ähnelte. Vielleicht war er vom Haupthaus aus begehbar und führte in den Garten der Herrschaft? Schon beim Ausblick aus ihrem Zimmer hatte Nora festgestellt, dass Cascarilla Gardens auf einem Hügel lag. Das Land fiel terrassenförmig zum Wald und dann zum Strand hin ab. Dieses Stück Garten war überbaut und diente als Erweiterung der Wirtschaftsräume. Ein Stück vom Haus entfernt entdeckte Nora Hütten zwischen den Bäumen. Die Sklavenquartiere – vom Portal und Garten der Herrschaft nicht zu erkennen, aber mit einfachem Zugang zum Kücheneingang.
»Dort wohnt … ihr?«, vergewisserte sich Nora.
Adwea nickte mit strahlendem Lächeln. »Ja, wollen sehen, Missis? Alles sauber, ordentlich. Wie Küche …«
Die Küchenräume strahlten tatsächlich vor Sauberkeit, alle Töpfe und Pfannen wirkten geschrubbt, und das Kupfer glänzte. Die Küche war gut eingerichtet und ausgestattet – ebenfalls nach altenglischem Muster. Nora fragte sich, was Adwea hier kochte. Wer hatte der Afrikanerin englische Küche beigebracht? Auf einem Tisch entdeckte sie dann erst mal einen Korb tropischer Früchte, und die lachende, anscheinend kein bisschen befangene Adwea zeigte ihr, wie man Bananen schälte.
»Schmecken, Missis?«, fragte sie.
Nora hatte noch nie so etwas Köstliches probiert. Als sie Adwea weiter durchs Haus folgte – die Köchin schien es ganz selbstverständlich zu finden, ihr Salons und Empfangsräume zu zeigen, die alle ebenso sauber waren wie die Wirtschaftsräume –, tastete sie nach dem Anhänger aus Simons Ring. Sie hatte den Halsschmuck vor dem Waschen abgenommen, aber nun trug sie ihn wieder zu dem seidenen Nachmittagskleid, das Máanu ihr nach der Mittagsruhe unaufgefordert in ihr Zimmer gebracht hatte. Irgendein Mitglied des Hauspersonals hatte es der Reisetruhe entnommen, gelüftet und gebügelt. Passend zu dem Druck auf dem Kleid hatte Máanu ihrer jungen Herrin Orangenblüten ins Haar geflochten. Nora musste nun ständig an Simon denken. Dies war die Erfüllung ihres Traums. Sie hatte sogar von dunklen Händen eingeborener Mädchen fantasiert, wenn sie sich in ihrer Südseevorstellung eine Dienerin oder Freundin leistete, aber natürlich hatte sie nie an eine Sklavin gedacht …
Nora überlegte, ob sie Máanu mit einem kleinen Geschenk eine Freude machen könnte, entschied sich
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