Die Insel Der Tausend Quellen
plünderten und verzogen sich so rasch, wie sie gekommen waren. Die Feldsklaven der Plantage schlossen sich ihnen meistens an, ein Angriff der Maroons war die sicherste Möglichkeit zur Flucht. Allerdings geschah er selten, und hier am Strand und in der Nähe der Städte praktisch nie.
Doug beobachtete nichtsdestotrotz gespannt das Pferd. Gleich darauf tat sich etwas im Unterholz neben dem Tier. Zu Dougs völliger Verblüffung trat eine Frau aus dem Dickicht. Gelassen, zielstrebig, selbstsicher – und völlig nackt! Sein erster Gedanke war, eine Sklavin, die ihren freien Tag zu einem Bad im Meer nutzte, aber den verwarf er im gleichen Augenblick. Diese Frau hatte nicht die Statur einer Ashanti oder Baoulé, sie war deutlich kleiner, sehr zierlich – und sie war ganz klar keine Schwarze. Eine Mulattin? Eine Sklavin mit viel weißem Blut? Aber die junge Frau gehörte mit ziemlicher Sicherheit zu dem Pferd im Dschungel, und welche Kreolin besaß so ein wertvolles Tier?
Und dann – Doug konnte seinen Augen kaum trauen – sah er es ganz deutlich. Das Wesen, das da aufs Meer zuging und sich ohne Zögern in die Wellen stürzte, war eine Weiße! Und keines dieser süßen Naturkinder, die er im Süden Europas kennen und schätzen gelernt hatte. Keins der Bauernmädchen, die mit bloßen Armen und Beinen auf dem Feld ihrer Väter arbeiteten, deren Gesichter von der Sonne gebräunt waren und die sich nach dem Tagewerk lachend in einen Fluss oder einen Weiher am Rande des Dorfes stürzten.
Die Frau im Meer dagegen hatte reinweiße Haut, sie musste gewöhnlich langärmelige Kleider tragen und ihr Gesicht vor der karibischen Sonne schützen. Doug beobachtete fasziniert, wie sie furchtlos weit hinausschwamm, sich dann in der Mitte der Bucht auf den Rücken legte und treiben ließ. Ihr langes goldbraunes Haar trieb im Wasser, es umspielte ihr Gesicht wie ein Heiligenschein. Doug war neugierig auf dieses Gesicht und wurde nicht enttäuscht. Das Mädchen musste schließlich irgendwann zurück ans Ufer. Er sah ein schmales, schönes Antlitz mit vollen Lippen, die jetzt ein glückliches Lächeln zeigten, nach der Anstrengung sanft geröteten Wangen und großen Augen, deren Farbe er gegen das Licht nicht erkannte. Das Mädchen hob die Arme, fasste sein Haar am Hinterkopf zusammen und wrang es aus – eine Geste, die Doug von den Sklavenmädchen kannte. Es entsprach natürlich nicht der Etikette, sie von einem Versteck aus zu beobachten, aber er konnte den Blick doch nicht von ihren kleinen festen Brüsten wenden. Ihre Taille war so schmal, dass er meinte, sie mit beiden Händen umfassen zu können, und ihre Hüften sanft gerundet. Sie war zierlich – und doch eine vollkommene Schönheit.
Doug fragte sich, wohin die junge Frau gehörte, und überlegte kurz, ihr zu folgen, aber das war sicher nicht einfach. Jetzt jedenfalls verschwand die Schwimmerin wieder im Unterholz, zog sich zweifellos an und würde sich dann wieder auf ihr Pferd schwingen. Doug hoffte, sie täte das am Strand, um noch einen Blick auf sie zu erhaschen, aber er wurde enttäuscht. Das Pferd verschwand einfach zwischen den Bäumen. Die Frau musste den Pfad reiten, der zunächst zur Fortnam-Plantage, dann zu den Besitztümern der Hollisters führte – und zu noch drei oder vier weiteren Pflanzungen. Ein solches Pferd war schnell, und eine so kühne Schwimmerin würde wohl auch eine beherzte Reiterin sein. Sie konnte von sonst wo herkommen und musste sich dabei sehr sicher fühlen, sonst hätte sie sich nicht derart selbstverständlich und schamlos entkleidet.
Nun war Doug der Letzte, den dies wunderte. Er selbst hatte schließlich seine halbe Kindheit an diesem Strand verbracht, und niemand hatte ihn und Akwasi dort jemals gestört. Für Akwasi war der Strand eigentlich verboten gewesen. Die Sklaven durften dort höchstens mal unter Aufsicht ein paar Fische für den Tisch des Herrn fangen. Auf einen Alleingang standen empfindliche Strafen – es wäre schließlich zu leicht gewesen, aus der Bucht herauszuschwimmen, sich von den Wellen fort von Kingston tragen zu lassen und irgendwo im Dschungel unterzutauchen. Nun gab es natürlich Haie außerhalb der Bucht, aber Sklaven nahmen noch ganz andere Risiken auf sich, um der Knechtschaft zu entkommen. Ganz abgesehen davon, dass im Dschungel genug Holz herumlag, um sich binnen weniger Stunden ein Floß zu zimmern. Akwasi und Doug hatten das auch getan. Er lächelte in der Erinnerung an die Hütten, die sie aus
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