Die Insel Der Tausend Quellen
ins Wasser. Es war wunderbar kühl. Sie hielt den Atem an und glitt hinein.
»Das kann nicht von der Hautfarbe abhängen«, meinte sie. »Obwohl … du bleibst oben! Wie machst du das?«
Nora schämte sich für die Idee, aber sie konnte nicht umhin, an eine Hexenprobe zu denken. Hatte es nicht geheißen, nur Zauberinnen könnten dem Sog des Wassers entgehen? Máanu schien dieser Aberglaube zum Glück nicht geläufig.
Sie schwamm vergnügt zu Nora hinüber und forderte sie auf, sich ebenfalls aufs Wasser zu legen. Nora ließ herzklopfend zu, dass ihre Dienerin sie stützte und in die richtige Position brachte.
»Jetzt Arme ausstrecken und ein bisschen mit den Fingern paddeln. Und mit den Füßen …«
Nora schrie kurz auf, als Máanu sie losließ. Aber dann merkte sie, dass sie tatsächlich nicht unterging! Eine Weile ließ sie sich treiben, bis sie den Mut verlor. Zu ihrem Entsetzen spürte sie keinen Grund mehr unter den Füßen. Máanu zog sie ins flachere Wasser, bevor sie sich ernstlich ängstigen und untergehen konnte.
»Schwimmen, Missis«, erklärte sie dann, »geht so.« Sie machte es vor. »Nicht paddeln wie ein Hund, eher wie ein Frosch. Und keine Angst haben. Der Teich ist so klein, da hol ich Sie rasch wieder hoch, wenn’s schiefgeht. Und er ist auch nicht tief, man kann sich auf den Grund sinken lassen und abstoßen.« Zu Noras Erschrecken versank Máanu neben ihr, um sofort wieder aufzutauchen. »Jetzt probieren Sie es. Also das mit dem Schwimmen. Es ist nicht schwer!«
Tatsächlich lernte Nora in kürzester Zeit, sich über Wasser zu halten. Die beiden Frauen machten sich von nun an ein tägliches Bad nach dem morgendlichen Besuch im Sklavenquartier zur Gewohnheit, wobei sich Noras Schwimmkünste sehr viel rascher entwickelten als sich Hornhaut an ihren Fußsohlen bildete. Hier zeigten sich in den ersten Tagen Dutzende kleiner Schnitte und Verletzungen, die sich leicht entzündeten. Nora hatte manchmal Mühe, ihr Hinken zu verbergen, wenn sie zum Abendessen herunterkam und Elias sie am Fuß der Treppe erwartete. Nach wenigen Wochen bewegte sich die junge Frau allerdings fast so sicher auf dem Dschungelpfad wie ihre Sklavin, und sie schwamm über und unter Wasser wie ein Fisch.
Irgendwann wagte sie dann sogar die Frage zu stellen, die ihr gleich beim ersten Schwimmzug durch den Kopf geschossen war.
»Das ist wundervoll, Máanu. Geht das wohl auch im Meer?«
ZAUBER
Jamaika
Weihnachten 1732 bis Frühjahr 1733
KAPITEL 1
D ouglas Fortnam hatte seine Reise durch Europa beendet, und nun brach er auch seine Studien in Oxford ab. Wobei er Erstere genossen hatte, während England ihm vom ersten Tag seines Aufenthaltes dort verhasst gewesen war. Doug war als Zehnjähriger in ein Internat bei Banbury geschickt worden, aber es war ihm nie gelungen, das Mutterland lieben zu lernen. Er hatte die Dunkelheit der englischen Winter gefürchtet und war selbst im Hochsommer nie wirklich warm geworden. Doug fehlten die leuchtende Sonne der Karibik, die Strände und das tiefblaue Meer. Der Atlantik kam da nicht heran. Die englische Küste enttäuschte ihn, als er einen Schulkameraden in Blackpool besuchte. Dazu war das Wasser kalt. Doug war nicht feige und drückte sich nicht davor, mit seinen Freunden am Strand von Blackpool ins Wasser zu gehen oder auch mal in der Themse zu schwimmen, die auf Höhe von Oxford noch sauber und einladend wirkte. Aber das Meer, so wie er es kannte, fand er erst auf jener Reise wieder, die er gegen den Willen seines Vaters unternahm. Er konnte sich kaum losreißen von den Stränden Spaniens, Italiens und Griechenlands.
Doch auch die warmen Länder vermochten seine Sehnsucht nach seiner Heimatinsel nicht wirklich zu stillen. Doug störte die dort oft karge Landschaft, die Bergzüge, auf denen nichts wuchs außer ein paar Kakteengewächsen, Gewürzpflanzen und hartem Gras. Anscheinend gab es in Europa nur die Wahl zwischen kalten Ländern mit üppigem Grün und warmen Gegenden, die allerdings fast schon seinen Vorstellungen von Wüste entsprachen. Nirgendwo wuchsen Tabak, Kakao und Zuckerrohr, nirgendwo reichte der Dschungel an den Strand heran. Nirgendwo war die Luft so geschwängert von Feuchtigkeit, aber auch von den schweren, süßen Gerüchen der Tropen.
Doug hatte die Reise in den Süden so weit ausgedehnt wie eben möglich, obwohl sein Vater die Drohung wahrmachte, seine Apanage vollständig zu streichen. Also half Doug bei der Weinlese in Frankreich, schlug Marmor in
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