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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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andere kippte Aggie gerade einen zusätzlichen Becher Rum, weil sie den Punsch immer noch zu schwach fand.
    Ein paar Männer von der Belegschaft der Sägemühle waren mit ihren Frauen gekommen und unterhielten sich über den derzeitigen Preis für Sägemehl, die Bostoner Baseballmannschaft Red Sox und andere typische Männerthemen. Rhonda hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie beobachtete Peter dabei, wie er je einen Becher Rumpunsch für sie drei mopste.
    «Ich möchte keinen», erklärte Lizzy, als er ihr einen Pappbecher anbot.
    «Ach, komm schon! Was bist denn du für ein Pirat?»
    Daraufhin nahm Lizzy den Becher, genau wie Rhonda. Die Mädchen tranken vorsichtig ein paar Schlückchen.
    Peter nahm einen ordentlichen Schluck. «Ahhh!», machte er. «Das ist das richtige Zeug, das ist gut. Davon kriegt man Haare auf der Brust, Kameraden!»
    Er ließ die Mädchen stehen und trat zu Daniel und einer Gruppe Männer von der Sägemühle. Daniel legte Peter die Hand auf den Kopf, und Peter lachte über irgendeinen dummen Witz über den Präsidenten, den Rhonda nur halb mitbekam.
    «Glaubst du, dass Wendy in Peter Pan verliebt ist?», fragte Lizzy.
    «Hm?»
    «Ich meine, es ist doch eigentlich offensichtlich, oder? Sie liebt ihn, aber er erwidert ihre Liebe nicht.»
    Rhonda trank einen großen Schluck Punsch. «Ich glaube, dass er ihre Liebe schon erwidert. Er weiß es nur nicht.»
    Lizzy schüttelte den Kopf. «Das ist doch albern. Sie haben jedenfalls keine gemeinsame Zukunft. Sie werden nicht heiraten und so. Das ist unmöglich.»
    Rhonda kippte noch einen tüchtigen Schluck Punsch und berührte das Foto von ihrem Vater und Aggie, das sie in Wendys Nachthemd bei sich trug und jeden Tag zur Probe mitnahm. Sie wollte es Peter zeigen und ihn fragen, was das zu bedeuten hatte. Ob ihr Vater und seine Mutter vielleicht wirklich einmal miteinander verheiratet gewesen seien. Ob das möglich wäre. Aber sie konnte sich nie dazu überwinden.
    Als die Wirkung des Rums sich allmählich bemerkbar machte, wusste sie, was sie zu tun hatte. Peter würde die Antwort nicht wissen. Ihr Vater dagegen schon. Sie würde ihm einfach das Foto zeigen und um eine Erklärung bitten. Nun, wenn das beschlossene Sache war, warum dann eigentlich nicht gleich? Sie leerte ihr Punschglas in zwei großen Zügen, ließ Lizzy stehen und rannte zum Haus. Kurz zuvor hatte sie Clem nach drinnen gehen sehen. Rhonda ging direkt in ihr Zimmer und holte die Zeichnung der
Hunley
aus ihrem Versteck im Koffer unter dem Bett. Ihre Mutter war extra mit ihr in eine Kunsthandlung in St.   Johnsbury gefahren und hatte es rahmen lassen, Rhonda hatte es dann in blaues Geschenkpapier mit silbernen Sternen eingepackt. Sie klemmte sich das Bild unter den Arm und machte sichauf die Suche nach ihrem Vater. Der war jedoch weder in der Küche noch im Wohnzimmer. Sie ging nach links und durch den Flur zu seinem Arbeitszimmer. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und sie schob sie ganz auf und rief, das Geschenk in den ausgestreckten Armen: «Alles Gute zum Geburtstag!»
    Dort stand ihr Vater und küsste Aggie, und sie betatschten einander dabei und umschlangen sich. Für Rhonda wirkte es, als regte sich dort ein riesiger, pulsierender Tintenfisch.
     
    Sie wusste nicht, wohin sie rannte. Barfuß stürmte sie in ihrem weißen Wendy-Nachthemd durch den Wald. Das Bild hatte sie im Arbeitszimmer auf den Boden fallen lassen, und sie hatte noch gehört, wie das Glas mit einem lauten Klirren zerbrach, bevor sie kehrtmachte und weglief. Sie rannte durch die Geburtstagsgesellschaft hindurch und an Peter, Lizzy und ihrer eigenen Mutter vorbei, die gerade einen frischen Dip für die Muscheln bereitstellte. Es kam ihr vor, als befände sie sich unter Wasser. Die Geräusche klangen nicht so, wie sie es eigentlich sollten. Der Wald vor ihren Augen wirkte verschwommen und fremd. Nicht einmal ihre Füße gehorchten ihr richtig. Sie stolperte und streifte im Rennen gegen Bäume. Und doch stürmte sie immer weiter den Pfad entlang bis zum Martin-Friedhof; erst dort ging sie wieder normal. Ihre Füße waren von den scharfen Steinen zerschnitten. Ihr Atem ging schnell, es pfiff in ihrer Lunge. Sie ging an dem schmiedeeisernen Zaun entlang, bis sie die Öffnung fand. Dieses Jahr war sie noch gar nicht hier gewesen. Hinten im Friedhof fand sie ihrenLieblingsstein: Es war ein einfacher, quadratischer Grabstein, auf dem nur HATTIE, MIT SIEBEN JAHREN AM 12.   DEZEMBER 1896   GESTORBEN stand. Rhonda warf

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