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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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Weymouths-Kiefer gelegt und ein Luftgewehr in Händen.
    «Greta!», rief Peter. «Du hättest jemandem ein Auge ausschießen können!»
    «Summ, summ, summ!», schrie Greta zurück.
    Greta lebte mit ihrer spinnerten Mutter Laura Lee Clark, die von sich behauptete, so ziemlich in jedem Film der siebziger Jahre mitgespielt zu haben, in einem Wohnwagen am See. Darüber, wer Gretas Vater war – laut Laura Lee möglicherweise Warren Beatty, möglicherweise aber auch nicht   –, gab es nie eine offizielle Version.
    Greta Clark war zwölf und schleppte immer einen selbstgebastelten Flitzebogen samt Pfeilen und ein Luftgewehr mit sich herum, mit dem sie Eichhörnchen schoss. Sie trug einen roten Cowboyhut aus Filz, der für ein wesentlich kleineres Kind gedacht war und ganz oben auf ihrem Scheitel saß, nur vom straffgezogenen Kinnriemen gehalten.
    Von Greta war bekannt, dass sie meistens mit unfairen Mitteln kämpfte. Wenn sie zum Beispiel ein Kind zum Fahrradrennen aufforderte, löste sich plötzlich beim gegnerischen Gefährt das Vorderrad oder bekam einen Platten, weil ein winziges Steinchen im Ventil steckte. Wenn siehandgreiflich wurde (und dazu war es im Laufe der Jahre oft genug gekommen), warf sie ihrer Gegnerin Sand ins Gesicht, und wenn es ein Junge war, packte sie ihn bei den Hoden und drückte zu, so fest sie nur konnte, bis ihr Kontrahent sich übergab, stöhnend im Dreck wand und mit den Beinen zappelte wie ein Käfer, der auf den Rücken gefallen war.
    Außerdem ging in der Schule das Gerücht um, sie sei eine Lesbe.
    «Euer Stück ist totaler Mist!», rief Greta herunter.
    «Ich finde, wir sollten sie vertrimmen», sagte Lizzy. Sie hockte auf dem Wagendach, fuchtelte drohend mit ihrem Captain-Hook-Haken – es war der Drahthaken von einem Kleiderbügel – in der Luft herum und hatte das Holzschwert gezogen. Sie trug eine schwarze Satinhose, deren Beine in alten Motorradstiefeln ihres Vaters steckten. Die Stiefel waren ihr viel zu groß, und so hatte sie mehrere Paar Strümpfe übereinandergezogen. Zu ihrem Kostüm gehörten außerdem ein weißes, gefälteltes Hemd mit voluminösem Kragen und eine alte rote Samtjacke, die sie mit einer Goldborte zusätzlich aufgepeppt hatte. Richtig ins Geld war ihre Kopfbedeckung gegangen, ein schwarzer Piratenhut vom Kostümladen in Burlington.
    Peter schüttelte den Kopf. «Wir müssen sowieso gleich zu Clems Geburtstagsfeier. Morgen trommeln wir alle wieder zusammen, und dann machen wir eine richtige Probe.» Er sprang von der Bühne herunter und machte sich auf den Weg zu Rhondas Haus.
    «Du unternimmst überhaupt nichts?», fragte Lizzy, als die Mädchen ihn eingeholt hatten.
    «Was meinst du damit? Gegen Greta?», fragte Peter.
    «Ja, genau! Sie hat uns gerade die erste Probe verdorben», antwortete Lizzy.
    «Was soll ich denn machen? Den Baum hochklettern und sie runterzerren?»
    «Ja, so was in der Art», entgegnete Lizzy. «Und dann brat ich ihr eins mit meinem Haken über!» Drohend fuchtelte sie mit ihrem Kleiderhaken durch die Luft.
    «Nee», sagte Peter. «Am besten beachten wir sie gar nicht. Sie möchte ja nur Aufmerksamkeit erregen.»
    Lizzy hängte sich bei Rhonda ein und sagte: «Vielleicht stört sie uns ja, weil sie sich in dich verknallt hat!»
    «Nein», gab Rhonda zurück. «Hinter
dir
ist sie her. Sie muss gehört haben, wie du
Achy Breaky Heart
gesungen hast, und da war es um sie geschehen.»
    Beide gackerten los.
    «Aber das hab ich doch für dich gesungen, Wendy», sagte Lizzy.
    «Ach, Captain Hook», säuselte Rhonda. «Ihr seid ja so romantisch.» Sie packte Lizzy bei der Hand und beim Drahthaken und tanzte ein paar Schritte mit ihr, bis der Haken sich von der Hand löste, was Lizzy dazu inspirierte, mit dröhnender Piratenstimme ein paar Zeilen von Patsy Clines Song
I Fall to Pieces
zu schmettern. Sie endete mit einem hohen Beinschwung, und einer ihrer riesigen Motorradstiefel flog ihr vom Fuß und landete in einem Ahorngebüsch. Wieder brachen beide Mädchen fast vor Lachen zusammen.
    «He, werdet ihr auch irgendwann mal erwachsen, ihr beiden?», fragte Peter und blickte sich dabei nach der Gestalt hoch oben im Baum um.
     
    Auf dem Grill lagen Frikadellen und Würstchen, und auf dem Campingtisch standen Kartoffel- und Nudelsalat und eine Lagentorte, die in Justines ordentlicher Schrift mit den Worten ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG, CLEM beschriftet war. Daneben gab es zwei Schüsseln mit Punsch. Die eine war für die Kinder bestimmt, und in die

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