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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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unterwegs. Motorboote waren nach Sonnenuntergang verboten.
    «Und du riechst nach Tacks Möse, Kamerad», gab Lizzy mit ihrer Piratenstimme zurück.
    «Was zum Teufel ist eigentlich mit dir los?», fragte Peter. Er sah sie an, als hätte er eine Ohrfeige bekommen. Er stand auf, forderte Tack auf, ihn zu begleiten, und ging ein paar Schritte den Strand entlang und legte sich wieder hin.
    Tack blieb, wo sie war – neben Lizzy, die tatsächlich nach getrockneter Pisse und Schweiß stank. Auf Lizzys anderer Seite lag Rhonda. Ein Moskito landete auf ihrem Arm, und Rhonda ließ es zu, dass er sie stach. Sie beobachtete, wieer sich mit ihrem Blut so vollsaugte, dass er danach kaum mehr fliegen konnte.
    «Ich finde, dass du gut riechst», sagte Tack zu Lizzy.
    «Verdammt!», rief Peter. «Gehst du jetzt eigentlich mit mir oder mit meiner Schwester?»
    «Arschloch», brummte Tack, aber sie stand auf, ging zu ihm und legte sich neben ihn in den Sand.
    Dabei hatte der Abend so gut angefangen. Alle hatten sich vertragen. Clem und Daniel hatten Steaks gegrillt, und Aggie und Justine hatten Kartoffelsalat, Maiskolben und Weißkohlsalat zubereitet. Und dann hatten sie noch Peters Geburtstagskuchen gegessen, den Aggie gebacken hatte: Er war rechteckig gewesen, mit rotem, weißem und blauem Zuckerguss dekoriert, sodass er wie die amerikanische Fahne ausgesehen hatte. Und in der Mitte hatten statt der Geburtstags- vierzehn Wunderkerzen gesteckt, die blitzend und zischend abgebrannt waren. Ihre Asche war auf den Zuckerguss geweht, und der ganze Kuchen hatte nach abgeschossener Munition geschmeckt.
    Rhonda lag am Strand und dachte über die bemalten Steine im See nach. Jeden Winter – wenn überall auf dem See die Hütten der Eisangler standen und kleine Dörfer bildeten, wo Männer sich mit Gasöfen und Whisky in Flachmännern warm hielten und darauf warteten, dass etwas an der Leine zupfte, und wenn die Schneemobile über die Eisfläche von einer Seite zur anderen flitzten – kamen Leute von der Freiwilligen Feuerwehr von Pike’s Crossing und zerrten einen großen Felsbrocken mitten auf den See. Der Stein war mit Leuchtfarben bemalt, und auch die jeweilige Jahreszahl hatte man daraufgesprüht. Jeder zahlte als Einsatzeinen Dollar und durfte dann schätzen, an welchem Tag im Frühjahr der Fels durchs Eis brechen und einsinken würde. Jedes Jahr gab es einen anderen Preis: einen Monat lang Kaffee und Doughnuts in
Pat’s Mini Mart
ganz umsonst, ein Dinner für vier im
Lakeside Diner
oder eine Angelrute von
B&D Sports
.
    Rhonda dachte an all die grellbemalten Steine am Grund des Sees, jeder mit dem Gewicht eines ganzen Jahres beladen und mit aufgesprühter Jahreszahl. 1982, das Jahr ihrer Geburt. Darunter, 1978, das Jahr, in dem ihr Vater Aggie geheiratet hatte. Zuoberst lag das laufende Jahr, das Jahr, in dem sie
Peter Pan
aufführen würden. Ein in Sand und Schlick eingesunkener Haufen Jahre, mit Algen bedeckt, ein Tummelplatz für Fische und Schnappschildkröten.
     
    Das Feuerwerk schien diesmal nur wenige Minuten zu dauern. Gegen Ende (das Rhonda für die Mitte hielt) richtete sie die Augen vom Himmel weg und wandte sich nach links, wo Peter und Tack sich küssten, die Gesichter – je nach momentaner Feuerwerksfarbe – flammend grün, blau oder rot erleuchtet. Dann drehte sie sich nach rechts, wo Lizzy summend die Silberdollar aus ihrem kleinen Schatzbeutel zählte, ohne auch nur einen Blick an das Feuerwerk zu verschwenden. Als Rhonda wieder aufschaute, war es schon vorüber. Im Dunkeln war es schwer zu erkennen, aber es kam ihr so vor, als wäre Lizzys Schatz seit dem letzten Mal größer geworden. Sie schichtete die Münzen zu zwei Stapeln auf.
    «
Was singst du da eigentlich?», fragte Rhonda.
    Lizzy hob die Stimme und sang so laut, dass Rhonda es hören konnte: «Ich bin zu sexy für mein Shirt, zu sexy für mein Shirt, ich bin so sexy, dass es
wehtut
  …»
    Rhonda blickte zu ihrer Freundin in den nach Pisse stinkenden, zerknitterten Piratensachen auf. «Da hast du recht», sagte sie.
    Peter und Tack saßen inzwischen schon auf ihren Fahrrädern.
    «Kommt ihr beiden jetzt, oder was?», rief Peter.
    Sie fuhren zusammen heim, und am Wohnwagen bog Tack ab und rief nach hinten: «Ticktack!», als die anderen sich von ihr verabschiedeten. Lizzy fuhr jetzt vor und flitzte mit wehendem Piratenhemd die Straße hinunter. Mit ihrer Piratenstimme sang sie immer noch «Ich bin zu sexy», und zwischen den Versen lachte sie. Bald

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