Die Insel der verlorenen Kinder
Ahnung.»
«Ich gebe dir das Geld nur, wenn ich weiß, wofür es ist.»
«Für eine bessere Tischsäge, Bandsäge und Bohrmaschine … Das hab ich dir doch schon gesagt. Ich hab dir die verdammten Kataloge gezeigt!»
«In wie großen Schwierigkeiten steckst du eigentlich, Daniel? Sind es wirklich zehntausend Dollar? Mehr? Oder weniger?»
«Weißt du was? Vergiss es. Ich brauch deine verdammte Hilfe nicht! Aber als Finanzpartner von
Shale Särge
bist du tot. Wenn das Geld erst fließt, kriegst du keinen müden Dollar, mein Freund.»
«Daniel, schau dich doch an. Du reitest dich immer tiefer ins Unglück. Das Spielen. Die unausgegorenen Geschäftsideen.Aggie macht sich Sorgen. Sie sagt, sie hat Angst, dass du eines Tages so tief im Sumpf steckst, dass man dich nicht mehr rausziehen kann.»
«Aggie macht sich Sorgen, hm? Ist das nicht süß? Ist das nicht toll, dass sie mit dieser Scheiße zu dir kommen kann? Du bist immer ihr Held, nicht wahr?» Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, und dann hörte man etwas Klatschen – Rhonda wusste, dass Daniel mit der geöffneten Hand auf die Werkbank schlug, wie üblich, wenn er in Wut geriet.
«Das bist du doch?», brüllte Daniel verärgert. «Halte dich von meiner Frau fern! Glaub nicht, ich wüsste nicht, was zwischen euch läuft!»
«Ich rede nicht mit dir, wenn du so bist.» Clems Stimme klang leise und geduldig.
«Halte dich von ihr fern!»
«Gute Nacht, Daniel. Wir reden morgen darüber.»
Man hörte ein Klirren. Daniel schien etwas auf den Betonboden geworfen zu haben, irgendein Werkzeug.
«Runter von meinem Grundstück!», schrie er Clem nach; die Stimme überschlug sich vor Wut, während das Echo des klirrend zu Boden gegangenen Werkzeugs noch in der Luft nachhallte.
Das Licht ging aus, und die Tür der Werkstatt fiel krachend zu. Rhonda lag ganz still da und atmete den Kiefernholzgeruch ein. Peter kletterte aus seinem Sarg und nahm Rhondas Sargdeckel ab.
«Alles in Ordnung mit dir?», fragte er, reichte ihr die Hand und half ihr heraus.
Rhonda nickte. «Und mit dir auch?», fragte sie.
Peter antwortete nicht. Er führte sie einfach nur schweigend aus der Werkstatt. Sie kam nie dazu, Peter zu fragen, was denn das Gruseligste daran war, dass Daniel sich seinen eigenen Sarg zimmerte.
s?
16. Juni 2006
War Lizzy wirklich zurückgekehrt? War das möglich? Aber warum wollte Peter es dann unbedingt geheim halten? Und das dunkelhaarige Kind im Motel – das konnte doch wohl nicht Ernie sein, oder doch?
Jede Frage, die Rhonda sich stellte, führte zu neuen Fragen, und sie hatte ein Gefühl, wie wenn man losfahren will und die Reifen durchdrehen.
Sie schien sich auf das Verschwinden des falschen Mädchens konzentriert zu haben. Irgendwie steckte Lizzy mit in dieser Sache, und wenn sie verstehen wollte, was mit Ernie passiert war, musste sie vielleicht bei Lizzy anfangen.
Nachdem sie sich in ihrer Wohnung gemütlich niedergelassen hatte, mit Sadie auf dem Schoß und einer geöffneten Bierflasche auf dem Couchtisch, griff Rhwonda zur Fernbedienung des Videogeräts und drückte auf Start.
Vor der ersten Szene schwenkte die Kamera über die Zuschauermenge. Clem und Justine waren da. Laura Lee in ihrem silbrig glitzernden Kleid. Neben ihr Daniel in Jeans und einem roten T-Shirt . Es standen keine gepackten Koffer neben ihm, und aus seiner Brusttasche lugte kein Busticket. Aggie war auch da, ein Whiskyglas in der einen Hand und eine Zigarette in der anderen. Alle sahen jung und gesund aus, so als würden sie ewig so bleiben.
Dann sah man Rhonda und die O’Shea-Jungs auf der Bühne. Die drei steckten in ihren kleinen Betten, und vor dem Zimmerfenster hörte das Publikum jetzt eineKrähe. Da war er – Peter Pan landete auf der Fensterbank und stieg ein wie ein Fassadenkletterer, ein Kinderdieb und Elfenkönig. Er bewegte sich so fließend wie Wasser. Unglaublich anmutig. Sein Körper war ganz Beweglichkeit und Energie. Peter mit vierzehn. Rhonda beugte sich vor, um besser sehen zu können; am liebsten wäre sie in die Szene hineingekrochen und wieder die Rhonda auf der Bühne gewesen, um sich genau zu erinnern, wie es gewesen war.
«Zweiter Stern zur Rechten und dann geradeaus bis zur Morgendämmerung», murmelte sie. Wie oft hatte sie diese Worte heimlich vor sich hin geflüstert wie einen magischen Zauberspruch?
Als es an der Tür hämmerte, fuhr sie zusammen. Sie drückte auf PAUSE, nahm Sadie auf den Arm und ging nachschauen.
«Ich hab dir
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