Die Insel der verlorenen Kinder
Laura Lees VW Käfer von der Schule abholte.
In
Pat’s Mini Mart
herrschte tote Hose. Keiner rief an, keiner wollte tanken. Rhonda versuchte gerade herauszufinden, wie man auf dem Notebook zu den E-Mails der «Findet Ernie»-Website gelangte, als Carl herangeschlendert kam. Er zog seine zu großen Jeans hoch und versuchte dann eine Packung Beef Jerky – getrocknetes Rindfleisch – aufzumachen, die er sich einfach im Laden geholt hatte.
«Nicht viel los, hm?», sagte er.
Rhonda schüttelte den Kopf.
«Carl, ich hab gesehen, dass du Donnerstag vor zwei Wochen hier gearbeitet hast.»
«Ach ja?»
Er betrachtete die Packung Beef Jerky in seiner Hand. «Ja, dann war ich wohl da.» Seine Augen waren rot und glasig – er hatte getrunken.
«Pat und Peter haben an dem Tag gearbeitet», rief sie ihm in Erinnerung. «Laura Lees Volkswagen war in der Werkstatt.»
Er nickte. «Verdammt, diese Karre war ständig in der Werkstatt. Aber …» – er zeigte mit dem Beef Jerky auf sie und seine Augen verengten sich – «… ich weiß, von welchem Tag du sprichst, weil dieser Bulle Crowley mich auch schon danach gefragt hat.»
«Ach ja?»
«Ja, er wollte wissen, ob ich Peter im Käfer habe wegfahren sehen.»
«Und?»
Carl sah wieder auf die Packung Beef Jerky. «Nö. Ich hab gar nichts gesehen. Ich war ganz allein hier, und es war rappelvoll. Da war so ’n Bus mit sechshundert Nachwuchs-Baseballspielern – so kam’s mir zumindest vor. Und jedes von den Kids hat mit seinen paar Münzen sein eigenes Getränk und seinen eigenen Süßkram einzeln bezahlt, guter Gott.»
«Wo war denn Pat?»
«Was weiß ich.» Er zuckte die Achseln.
«Und Peter war in der Werkstatt?»
«Wohl schon. Der kommt und geht. Ich seh ihn nichtimmer wegfahren und kann auch nicht sagen, wann er wieder da ist.» Er riss mit den Zähnen an der Plastikverpackung des Beef Jerky. «So ’n Quatsch, dass sie Peter gefeuert haben», sagte er und spie eine Ecke der Verpackung auf den Boden.
«Ja», stimmte sie zu. «Da hast du recht.»
«Und die Bullen sind an ihm dran, als wären sie … Das ist nicht richtig. Er hat dieses Mädchen nicht entführt.» Er biss einen Happen Beef Jerky ab und kaute kräftig.
«Ich weiß», sagte Rhonda.
«Ja, ich weiß es auch», nuschelte Carl mit vollem Mund. «Ich weiß es
tatsächlich.
Ich hab ihn nämlich an jenem bestimmten Nachmittag gesehen, und zwar nicht mit einem kleinen Mädchen.»
«Du meinst, du hast ihn wandern sehen?»
«Wandern? Nein, das nicht. Ich hab ihn gegen drei Uhr nachmittags gesehen, wie er vor dem
Inn and Out Motel
hielt. Er fuhr seinen Pick-up und hatte so ein richtig scharfes Mädel an seiner Seite. Dunkles Haar und Make-up. Sie sah aus wie ein Model. Tack war das mit Sicherheit nicht. Also ging ich ein paar Tage später zu ihm und bot ihm an, zu den Bullen zu gehen und denen zu sagen, was ich gesehen habe. Ihm ein Alibi zu geben, verstehst du. Und weißt du, was er da sagte? Dass er’s nicht gewesen ist.» Carl sprach den nächsten Satz mit hoher, gepresster Stimme:
«Da musst du dich irren.»
Er schüttelte den Kopf. «Aber ich habe mich nicht geirrt. Also, mir ist es doch scheißegal, wenn er Tack betrügt und mit einer anderen bumst. Aber inzwischen denken alle, er hat das Verbrechen des Jahrhunderts begangen, verdammt, und das ist ihm recht? Wenn der Kerl will, dass was geheim bleibt, dann will er es aber auch.»
In diesem Moment kam ein Kunde, um Zigaretten zu kaufen, und Carl ging zur Kasse, den Streifen Beef Jerky im Mund wie eine Zigarre, und ließ Rhonda sprachlos zurück.
Das
Inn and Out Motel
lag auf einem Hügel mit Blick auf die Schnellstraße und hatte nur ein Dutzend Räume, einer davon ein Apartment mit Küche. An der hinteren Wand der kleinen Lobby standen die Überreste eines französischen Frühstücks, die keineswegs besonders französisch aussahen: Ein paar Doughnuts lockten Fliegen an, in Tassen standen Kaffeereste, und daneben lagen einige Bananen mit schwarzen Flecken. Das Mädel hinter der Empfangstheke sah aus wie sechzehn oder höchstens siebzehn. Ihr kastanienbraunes Haar war an den Spitzen schwarz gefärbt, und sie hatte ein Piercing in der Nase. Sie starrte auf den Computerbildschirm, klickte dabei mit der Maus und murmelte vor sich hin. Das Mädchen blickte nicht auf, als Rhonda sich räusperte.
«Falls Sie ein Zimmer suchen, wir sind belegt», sagte die Gepiercte. Und gerade noch rechtzeitig fügte sie hinzu: «Tut mir leid.»
«Nein,
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