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Die Insel der verlorenen Kinder

Die Insel der verlorenen Kinder

Titel: Die Insel der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer McMahon
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gesagt, du sollst meine Mutter in Ruhe lassen.» Tack stürmte in die Wohnung, die grauen Augen beinahe schwarz. «Für wen hältst du dich eigentlich, verdammt nochmal? Was zum Teufel hast du davon, wenn du eine verwirrte alte Dame schikanierst? Was soll sie dir deiner Meinung nach sagen?»
    «Nichts   … ich   …»
    «Glaubst du allen Ernstes, sie könnte
irgendwas
mit Ernies Verschwinden zu tun haben?»
    Rhonda trat einen Schritt zurück.
    «Nun?»
    «Nein, aber sie könnte etwas wissen   …»
    «Was denn? Was könnte sie denn wissen, Ronnie? Ein tolles Rezept für Sangria?»
    «Manchmal wissen die Leute etwas, von dem sie nicht mal wissen, dass sie es wissen.»
    «Ach, wie tiefsinnig. Ich weiß jedenfalls was, und das kapierst du besser schnell: Wenn du meine Mutter nicht in Ruhe lässt, lasse ich dich wegen Belästigung festnehmen. Der armen kleinen Rhonda wird ständig alles nachgesehen, weil sie so unschuldig durchs Leben geht. Das mach ich nicht mehr mit, Rhonda. Du musst endlich erwachsen werden, deine Zukunft in die Hand nehmen und
Verantwortung
übernehmen.»
    Rhonda schielte zu Tack hinüber. In den Augen der anderen lag nicht einfach nur Wut, sondern tatsächlich Angst. «Du glaubst selbst, dass sie irgendwas wissen könnte, stimmt’s?»
    «Herrgott nochmal, Rhonda.»
    «Vielleicht fragst du dich ja selbst, ob Peter irgendwie in die Sache verwickelt ist. Ich meine, dass er neulich an dem besagten Tag nicht in den Bergen wandern war, ist uns doch beiden klar, oder? Und wenn er in dieser Sache gelogen hat   …»
    «Peter belügt mich nicht.»
    Rhonda überlegte, ob sie Tack von dem Mädchen im Motel und von Peters Schlüssel erzählen sollte, den sie auf dem Friedhof gefunden hatte. In diesem Augenblick sah Tack aber an Rhonda vorbei ins Wohnzimmer und erspähte das angehaltene Bild auf dem Fernseher: Peter, wie er sich über Rhonda beugte, die auf dem Feldbett lag.
    «Du bist
jämmerlich
», sagte Tack. «Lass meine Familie in Ruhe.» Sie drehte sich um und schlug die Tür hinter sich zu. Sadie zuckte auf Rhondas Arm zusammen.
    «Alles in Ordnung, Kleines», beruhigte Rhonda das weiße Meerschweinchen. «Alles ist bestens.»
    Aber das war gelogen. In den letzten elf Tagen war Rhondas ganzes Leben auf den Kopf gestellt worden. Sie hatte zugelassen, dass ein Kind entführt wurde, und stellte inzwischen alles in Frage, was sie bisher über Peter zu wissen geglaubt hatte. Und jetzt war Tack ihr bitterböse, was vermutlich bedeutete, dass sie Peter nie wiedersehen würde. Sie starrte das Bild des vierzehnjährigen Peter auf dem Fernseher an.
    Zweiter Stern zur Rechten
, dachte sie.
    Aber sie konnte nicht umkehren. Sie konnte nur vorwärtsgehen.
    Rhonda setzte sich wieder aufs Sofa, drückte aber nicht auf START. Stattdessen griff sie zum Telefonhörer und wählte die Nummer der «Findet Ernie»-Hotline. Warren nahm gleich beim ersten Läuten ab.
    «Hier ist Rhonda», meldete sie sich. «Ich hatte gehofft, du könntest dich vielleicht freimachen und ein Bier mit mir trinken gehen. Ich drehe hier allmählich ein bisschen durch.»
    «Klar», sagte Warren. «Schlag was vor.»
    Rhonda lachte. Es gab nur eine einzige Kneipe in der ganzen Stadt. «Der
Silver Dollar
. Der liegt an der Route 6. Am Rand des Naturschutzgebietes.»
    «Ich weiß, wo.»
    «Vergiss deinen Cowboyhut und deine Singstimme nicht – heute ist Karaoke-Abend. Zwei Dollar der Auftritt, und wenn du einen Krug Bier bestellst, kriegst du vom Haus Flügel gratis dazu.»
    «Megacool! Ich bin dabei!», sagte er.
     
    Beim zweiten Krug Bier erzählte Rhonda Warren, wie die Sehnsucht nach Peter sie ihr Leben lang nie losgelassen hatte.
    Es erleichterte sie, endlich einmal offen über ihre Gefühle zu reden. Jemanden zu haben, dem sie die ganze Geschichte erzählen konnte. Sie dachte, sie käme vielleicht dadurch darüber hinweg, indem sie darüber redete und nichts ausließ. Und dann könnte sie vielleicht endlich wieder weitermachen.
    Warren nickte und kaute auf seiner Unterlippe herum. «Du bist also in ihn verliebt?» Er sah von ihr weg und in seinen Krug. Bier, für das er, rein legal gesehen, noch gar nicht alt genug war, aber wie jeder findige College-Student hatte er einen gefälschten Ausweis dabei, der ihn älter machte. Hinter ihm war die schlichte holzgetäfelte Wand im Country-Stil mit Lichtern, kleinen Nylonlassos, Cowboyhüten und Pferdebildern geschmückt. Sie mussten schreien, um sich bei dem Lärm, den die anderen Gäste

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