Die Insel der Verlorenen - Roman
gedeihen, ließ seine Angestellten schuften und arbeitete selbst wie ein Tier. »Ich fand Gefallen an meinem Leben in dieser Meereswüste«, erzählt er. Über seine Auseinandersetzungen mit Ramón Arnaud und seine Tage der Gewalt und des Wahnsinns schweigt sich Gustavo Schultz aus. Zur Episode, in der Altagracia Quiroz in sein Leben trat, bekennt er: »Ihre Gegenwart hat mich in meiner großen Traurigkeit aufgeheitert.«
Er erwähnt die Ankunft von Kapitän Williams in Clipperton und stellt es als selbstverständlich dar, dass er auf der Cleveland nach Mexiko zurückkehren wollte, aus freien Stücken und ohne von irgendjemanden dazu genötigt worden zu sein. Sobald er auf dem Festland war, kam Schultz wieder zu Verstand – falls er diesen überhaupt je verloren hatte – und suchte nach Möglichkeiten, sich erneut mit Altagracia zu vereinen. Mitten in der Revolution, die das Land erschütterte, war sie verloren und ein Blatt im Wind, wie damals viele Mexikaner. Nach Clipperton zu gelangen, war keine einfache Sache, weil die Reise unmöglich in einem kleinen Schiff improvisiert werden konnte. Man musste die Regierung dafür gewinnen, den Schiffbrüchigen zu Hilfe zu eilen und ein großes Schiff bereitzustellen. Man kann sich vorstellen, dass das im Bürgerkrieg, in dem die Menschen zu Tausenden starben, nicht unbedingt auf der Prioritätenliste der mexikanischen Regierung stand.
Aber Gustavo Schultz vergaß sein Versprechen nicht. Im Gegenteil, die Entschlossenheit, es zu halten, geriet ihm zur Obsession und ließ ihm keine Ruhe. Er unternahm regelmäßig Reisen an verschiedene Orte, um sich bei den regulären und den revolutionären Behörden, bei den abgesetzten und bei den gewählten Regierungen für Altagracia Quiroz einzusetzen. Er berichtet in dem Interview, dass er ein Jahr lang von Amt zu Amt und von Abteilung zu Abteilung lief und seine Bitte vergeblich Bürokraten vortrug, die sie noch mal schriftlich verlangten oder sofort in den Archiven versenkten, die sich jedes Protokoll sparten und ihm die Tür vor der Nase zuschlugen. In der Überzeugung, er habe in den Häfen des Pazifiks sämtliche Instanzen abgeklappert, fuhr er im Juni 1915 an den Atlantik, nach Veracruz, um mit einem Beamten zu sprechen, von dem ihm nur Gutes zu Ohren gekommen war, ein selbstloser, hilfsbereiter Mann. Hilario Rodríguez Malpica war ein freundlicher Herr, der sich die Geschichte von vorn bis hinten anhörte und sich um das Schicksal der Schiffbrüchigen sorgte, so dass er Schultz alsbald mit dem Auftrag zum Kommissar ernannte, nach Clipperton zu reisen und sie zu retten. Tagelang strapazierten sie ihre Kontakte in höheren Regierungskreisen und griffen auf Fürsprecher in der Marine zurück, bis es ihnen endlich gelang, einen Plan zu schmieden. Gustavo Schultz sollte sich zum pazifischen Hafen Salina Cruz begeben und von dort auf einem Schiff namens Corrigan III zur Insel aufbrechen.
Endlich war ihm die ersehnte Unterstützung der Regierung sicher, er konnte auf die Hilfe der Marine rechnen, hatte eine Ernennung zum Kommissar, das Geld für die Reise, eine Mannschaft und ein festes Reisedatum. Wahrscheinlich fehlte noch nicht einmal der Blumenstrauß, den er der Verlobten beim Wiedersehen überreichen wollte. »Aber das Schicksal hatte andere Pläne«, sagte Schultz, »denn die Corrigan III war kurz vor meiner Ankunft in Salina Cruz auf der Mole gestrandet.«
Da es sich als aussichtslos erwies, die Corrigan III – das einzig verfügbare Schiff – wieder flottzumachen, wurde die Reise abgeblasen, und der Deutsche musste von vorne anfangen. Er setzte seine Bemühungen zwei weitere Jahre ohne Erfolg fort und reiste im Januar 1917 erneut nach Veracruz, um den einzigen Mann zu treffen, der ihm ein Ohr geschenkt hatte. Aber diesmal nahm ihm sogar Rodríguez Malpica den Wind aus den Segeln:
»Ich rate Ihnen, Herr Schultz, nicht länger ihren Träumen nachzujagen. Sehen Sie die Dinge pessimistisch. Ich bedaure, Ihnen das sagen zu müssen, weil ich Sie als Freund betrachte. Aber Sie sollten sich damit abfinden, dass dort höchstwahrscheinlich schon alle gestorben sind. Ihre Altagracia Quiroz und die anderen werden inzwischen wohl tot sein.«
»Da irren Sie sich, amigo . Ich schwöre Ihnen, dass die Frau noch lebt und dass sie mich heiraten wird. Irgendwann. Ich bin sogar sicher, dass der Tag nicht mehr allzu fern ist. Und weil Sie so gut zu mir waren, sollen Sie unser Trauzeuge werden.«
Clipperton
1915–1916
Alicia hatte
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