Die Insel der Verlorenen - Roman
auf: Von Südosten blies ein kräftiger Wind, während sie vom aufgewühlten Meer genauso unrhythmisch wie unbarmherzig durchgeschüttelt wurden. Er fragte den Steuermann, ob er etwas sehen könne, doch dieser gab zurück: nichts als Nebel. Die fehlende Sicht hielt bis neun Uhr fünfzig an, da rief der Wachhabende: »Land in Sicht!«
»Der Junge hat Adleraugen«, bemerkte Perril und strengte die seinen vergeblich an, um schärfer zu sehen.
Es verstrichen etwa fünfzehn Minuten, bevor sich in der Ferne ein grauer Schatten abzeichnete. Je näher sie kamen, desto dunkler wurde er, nahm zunächst die aufstrebende Form eines Schiffssegels an, um dann auszusehen wie eine Burg. Clipperton, kein Zweifel. Der große Felsen, den alle Beschreibungen an die Südostküste der Insel verlegten. Kapitän Perril empfand ein leichtes Unbehagen. Weder er noch seine Männer verspürten den Wunsch, dort anzulegen. Aber bevor sie in San Francisco ausgelaufen waren, hatte ihnen Admiral Fullam, der Oberbefehlshaber der Pazifikflotte der Vereinigten Staaten Anweisung gegeben, das Atoll unterwegs anzusteuern. Sie befanden sich mitten im Ersten Weltkrieg und es gab Gerüchte, dass sich die Deutschen das gespannte Verhältnis zwischen der mexikanischen und der nordamerikanischen Regierung zunutze machten und Radiostationen oder U-Boot-Stützpunkte an der mexikanischen Pazifikküste eingerichtet hätten. Das Kanonenboot Yorktown war daher mit dem Auftrag zu einer genauen Inspektion unterwegs.
Im Grunde war dies eine monotone Routinefahrt mit einer Mannschaft, die begierig darauf war etwas zu tun, daher hatte er den Auftrag eher lustlos entgegengenommen. Bevor das Kanonenboot das Festland verließ, war jeder einzelne Punkt festgelegt worden, den sie auf ihrer Route anlaufen sollten. Admiral Fullam hatte seinen Quadranten auf die Landkarte gelegt und eine Koordinate von Honolulu bis Panama gezogen. Clipperton lag mitten auf dem Strich.
Kapitän Perril hatte Widerspruch erhoben.
»Es ist vielleicht töricht, Herr Admiral, aber ich möchte dennoch einen Einwand vorbringen. Sie wissen, dass die Männer etwas dagegen haben, an dieser Insel anzulegen. Launen, natürlich, aber wenn die Möglichkeit besteht, sie auszulassen, wäre mir das lieber.«
»Bedaure, Herr Kapitän, die Möglichkeit besteht nicht. Die Insel liegt im unmittelbaren Bereich unserer Operation«, erklärte Fullam, wohl wissend, worauf Perril anspielte. Es war einer der Orte, der unter Seeleuten als unheilvoll verrufen war, teilweise wegen der Schwierigkeiten, die er der Seefahrt bereitete, teilweise aus Aberglauben. Im Fall der Clipperton-Insel schien beides begründet, weil die Zahl der Schiffbrüche in ihrer Nähe ungewöhnlich hoch war.
Die Fahrt war wie erwartet schleppend und langweilig gewesen, und genau wie er vorausgesehen hatte, erwiesen sich die Gerüchte als Gerüchte, denn sie entdeckten nicht die Spur eines Deutschen. Für Kapitän Perril, einen Mann der Tat, hatte diese Inspektion daher den schalen Beigeschmack einer Hexenjagd. Obendrein mussten sie auch noch Clipperton anlaufen. Als Perril die ungünstigen Berichte über die Anfahrt des Atolls in seinen Navigationsanweisungen las, wusste er, dass dies nur bei Tageslicht gelingen könnte.
Aus diesem Grund drosselte er am Nachmittag des 16. Juli die Geschwindigkeit und kalkulierte, dass sie die Insel auf diese Weise am Mittwoch im Morgengrauen erreichen würden. Am Dienstag, um zwanzig Uhr brachte er das Kanonenboot leicht östlich auf Kurs, so dass sie, wenn sie die ganze Nacht die Richtung hielten, fünf Meilen vor der Ostküste der Insel aufwachen würden. Der nächtliche Nebel machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung, und am Mittwoch um sechs Uhr früh befanden sie sich keineswegs, wie geplant, vor Clipperton. Auch um sieben und um acht nicht, und Kapitän Perril war erleichtert bei dem Gedanken, sie könnten sie schon hinter sich gelassen haben, und beschloss, auf keinen Fall kehrtzumachen, um sie zu suchen. Daher sein Missmut, als er Clipperton um neun Uhr fünfzig doch aus dem Dunst auftauchen und auf sich zukommen sah.
Er war eher aus Zufall, denn aus freien Stücken darauf gestoßen, oder jedenfalls nicht aus eigenen freien Stücken, weil es im Grunde die Insel war, die ihn anlockte. Er war zwar durch und durch Angelsachse und Pragmatiker, aber der Gedanke, dass ihn dieser ungastliche Ort zu sich hingezogen haben könnte, bereitete Kapitän Perril doch Unbehagen. Trotz anders lautender
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