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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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gehalten, das mit der Rückkehr nach vier Monaten hat dagegen nicht geklappt.
    AliciaundAltagraciaeintedasUnglück.DieeinewarzwardieArbeitgeberin,dieanderedieAngestellte,aberdasSchicksalbehandelte,bessergesagt,misshandeltesiebeidegleich.DieeinewiedieanderewurdeindieRollederGeliebtendesschwarzenVictorianogezwungen,wiealleFrauenvonClipperton.DagabesfürkeineeinEntrinnen.ErwarderKönig,sieseineSklavinnen;seineTyranneihoballeUnterschiedeauf.
    Aber, der Weg zum Himmel geht ja bekanntlich durch Kreuzdorn, und genau das ist es, was Altagracia passierte. Als sie von der Insel zurückkam, hatte sie den Himmel auf Erden, sie traf nämlich den Deutschen wieder, der nie aufgehört hatte, auf sie zu warten, und die beiden haben geheiratet. Ihr war das Glück beschieden, einen Ehemann zu haben, der sie vergötterte, der in Mexiko Fuß fasste, weil er mit ihr zusammen sein wollte, und sie nach Strich und Faden verwöhnte. Er nahm sie zu sich und wohnte mit ihr im ›Wasserhaus‹ von Acapulco. Und weil er sie wie eine Prinzessin behandelte, nannten die Leute sie schließlich ›die Prinzessin vom Wasserhaus‹.
    Schultz stellte ihr drei Bedienstete und einen Gärtner zur Seite, damit sie nie mehr arbeiten musste. Wenn die Schiffe schwer beladen mit Waren aus aller Welt im Hafen eintrafen, kaufte er ihr die besten Kleider und die teuersten Schuhe. Ihr, die auf Clipperton so lange in Lumpen und barfuß herumgelaufen war. Sie hatte den Hunger kennen gelernt, aber er gab ihr zu essen, was ihr Herz begehrte. Er kaufte zwar am liebsten deutsches Essen, also Würste und Rotkohl, weil ihm das als Einziges schmeckte, aber sie schlüpfte in die Küche und kochte sich heimlich Mole und gefüllte Paprika, die sie mit den drei Bediensteten und dem Gärtner verzehrte.
    Er, der Deutsche, Gustavo Schultz, war damals der beliebteste Ausländer in ganz Acapulco, weil er die Hafenstadt mit Trinkwasser versorgt hat. Und auch das hat er wahrscheinlich für Alta getan, um sie für all den Durst zu entschädigen, den sie gelitten hatte, und all das Salzwasser, das sie hatte trinken müssen, wenn kein Regen fiel.
    Ich habe mich immer gefragt, wie es Altita – ihr Mann nannte sie so – wohl gelungen ist, in einem Ausländer eine so große Liebe zu entfachen. Weil sie so war wie sie war, eine andere Erklärung gibt es nicht. Sie hatte einen sanften, aber unbeugsamen Charakter. Sie war nicht schön. Eher könnte man sogar sagen, sie war hässlich. Das einzig Reizvolle an ihr waren ihre Haare. Ihr Haar war außergewöhnlich, aber alles andere an ihr war vulgär. Sie war fett, klein, hatte breite Gesichtszüge und ich erinnere mich vor allem an ihre wulstigen Hände«, sagt Guillermina und betrachtet nostalgisch die eigenen feinen langen Finger. Bei meiner Bemerkung, dass ihre Namen vertauscht zu sein scheinen, weil eigentlich sie mit ihrer Anmut und ihrer Größe Altagracia heißen müsste, ihre Cousine dagegen Guillermina, lächelt sie.
    »Alta hat mir die Geschichte von Clipperton ganz oft erzählt, ohne Groll, ohne Kummer. Die traurige Vergangenheit hatte für sie keine Bedeutung, denn in der Gegenwart ging es ihr gut. Sie hat nur davon erzählt, weil es ihr gefiel, in ihren Erinnerungen zu kramen. Sie ist an Altersschwäche gestorben, ein bisschen verrückt, aber glücklich. Sie hatte ein Leben wie im Märchen, mit großem Leid, das von einer glücklichen Hochzeit gekrönt war. Mehr kann ich Ihnen nicht erzählen, ich hatte nämlich einen Gehirnschlag und mein Gedächtnis ist ausgelöscht worden«, wiederholt Guillermina Yamandá noch einmal und ringt in ihrer Bedrängnis die schönen Hände.

Clipperton
    – 1916 –
    Alicia spielte ihren letzten Trumpf gegen den Tod aus und stieg bis zum Leuchtturm hinauf, um dem nahenden Schiff Zeichen zu geben. Von unten, vom Strand, hörte sie Stimmen. Es waren die anderen Frauen, die es auch gesehen hatten und jetzt fieberhaft winkten und um Hilfe riefen. Wenn wir es alle sehen, dachte sie, dann muss es wohl wahr sein. Während sie schrie und das Laken schwenkte, nahm ihre Errettung als reale Möglichkeit in ihrem Kopf Gestalt an. Ihr Vater, Orizaba, eine Schule für die Kinder und all die anderen Wunschvorstellungen, die einer längst aufgegebenen Sehnsucht angehörten, bekamen plötzlich wieder Nahrung. Nichts würde jenes Schiff daran hindern, das Ufer zu erreichen. Sie mussten nur bitten und beten, dass sich die Zeit beschleunigte und das Ende vorwegnahm, ohne dass sie all die Zwischenschritte durchmachen

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