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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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beharrte sie, »ich weiß nur, dass das Kind auf Clipperton zur Welt kommt.«
    Als die Präsenz ihres eigenen Sohnes immer greifbarer wurde, begann Alicia auch die Existenz anderer Kinder auf der Insel wahrzunehmen, die sie vorher wohl bemerkt, aber nicht wirklich gesehen hat. Mit einem Mal waren sie da, als wären sie gerade aus dem Meer gestiegen, und liefen in verschiedenen Altersstufen und von verschiedener Hautfarbe hinter Landkrabben und Tölpeln her. Da fasste sie den Entschluss, eine Schule einzurichten und ihr den größten Teil ihrer Zeit zu widmen. Also wurde auf dem Strand neben Branders Haus ein kleiner Unterstand gebaut, ohne Wände, nur ein Palmdach auf Stützen, wo die Kinder sich – neun insgesamt – um einen langen Tisch herum scharten. Die Älteste war zwölf Jahre alt, das war Jesusa Lacursa, die Tochter von Daría Pinzón. Und der Jüngste sollte schon bald ein zartes Kerlchen von sanftem Wesen sein, das stets am Rockzipfel seiner Mutter hing und Ramón Arnaud junior hieß.
    Um diese Zeit ließen die Frauen ab vom Gerede und von den Eifersüchten aufeinander und knüpften ein festes Band der Solidarität, ein Frauenbündnis, das nie mehr zerbrach und ihnen Jahre später, in den schlimmsten Zeiten, als sie durch die Hölle gingen, ihr Überleben sicherte.
    Was sie zusammenschweißte, war weder die Hausarbeit noch die Schule und auch nicht die Handarbeits- und Nähwerkstatt. Die gemeinsame Haarpflege wurde ihr allwöchentliches Ritual. Alle, ohne Ausnahme – Alicia, Tirsa, die Hebamme Doña Juana und die Soldatenfrauen – hatten prächtige Haare, die ihnen bis zur Taille reichten und von Kindesbeinen an nie geschnitten worden waren. Abgesehen natürlich vom Stutzen am Johannistag, wenn sich unter dem Einfluss des Mondes die Weisheit des Haars in seine Wurzeln zurückzog und die Spitzen gefahrlos geschnitten werden konnten, ohne der Mähne ihr Leben zu rauben.
    Jeden Mittwochmorgen versammelten sie sich beim Waschplatz und weichten die Haare in Regenwasser ein, das lange genug in Tontöpfen abgestanden war, um weich zu werden. Gegen die Sonne, die das Haar ausbleichte, behandelten sie es mit Chilischoten und Aromakräutern, damit es wieder nachdunkelte, und gegen das Meer, das es austrocknete, pflegten sie es mit Packungen aus Tölpeleiern. Um es zu kräftigen, massierten sie die Kopfhaut mit »Tricófero de Barry« oder Schlangenöl, und um es zu beduften, träufelten sie ein paar Tropfen Vanille darauf. Dann wuschen sie alles wieder aus und wickelten sich Tücher um die Köpfe, rückten die Stühle zusammen und ließen es an der Sonne trocknen. Anschließend bürsteten sie sich stundenlang gegenseitig, erst mit Wurzelbürsten, dann mit Holz- oder Hornkämmen, zogen das Haar straff nach hinten, bis die Augen schräg standen wie bei den Asiatinnen, und flochten sich zum Schluss Zöpfe aus drei bis vier Strängen, die sie mit bunten Bändern schmückten. An Sankt Johannis kürzten sie die Spitzen, achteten aber darauf, die abgeschnittenen Haare in einem Säckchen aufzufangen und legten sie sich unters Kopfkissen.
    Während dieser ausführlichen Prozedur hatten sie genug Zeit, sich zu unterhalten. Sie sprachen über Entbindungen und Fehlgeburten, über die Liebe und das Fremdgehen, erzählten sich ihre Familiengeschichten, riefen sich die Kämpfe anderer Zeiten und die Legenden der Kämpfer in Erinnerung.
    Es war im Monat April, als im Meer vor dem Riff Dutzende schwarzer Flossen auftauchten und die Haie das Dauerthema waren. Sie wurden nicht müde, es von allen Seiten zu beleuchten, so dass es den übrigen Gesprächsstoff verdrängte. Die Frauen fielen sich gegenseitig ins Wort und erzählten sich Schauergeschichten früherer Inselbewohner, die von den Haien gefressen worden waren. Eine davon war die von den neun Fischern, die eines Morgens in einem Kahn zum Angeln hinausfuhren, worauf am Abend nur noch eine riesige Blutlache zurückkehrte, auf dem Wasser schwamm und bis auf den Strand kroch, wo sie unauslöschlich haften blieb. Eine andere Geschichte war die vom Gringo, einem Schwulen, der für die Guano-Gesellschaft arbeitete, und dem eines Tages, als er sich am Ufer in der Sonne bräunte, mit einem Biss das Gesäß abhanden kam.
    »So hat ihn der liebe Gott bestraft, indem er ihm den Körperteil nahm, mit dem er sündigte«, sagte Señora Juana und bekreuzigte sich.
    Während sie so redeten, sahen sie in der Ferne das metallische Schimmern der Haifischflanken, hörten ihre Flossen das Wasser

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