Die Insel der Verlorenen - Roman
Männer waren überzeugt, dass diese Ungeheuer als die einzigen Bewohner und Kenner der Tiefen, sie dorthin führen könnten, wo der Schatz verborgen lag, und hefteten sich an ihre Fersen, um nicht nur einmal in den Höhlengängen unter Wasser stecken zu bleiben.
Nach mehreren Monaten mussten sie das Vorhaben aufgeben. Bis dahin hatten sie nichts anderes gefunden als halb zersetzte Abfälle, und obwohl sie sich in den Kopf gesetzt hatten, weiterzusuchen, mussten sie das Unternehmen abbrechen, weil die hohe Salz- und Schwefelkonzentration ihnen die Augen verbrannte und die Haut verätzte. Weder das Helmtauchgerät noch der selbst gebastelte Taucheranzug hatten sich als ausreichender Schutz gegen das stinkende brackige Wasser erwiesen, das alles mit Fäulnis überzog, was mit ihm in Berührung kam.
Also verließen sie die Lagune, setzten ihr Forschungsprojekt jedoch am großen Südfelsen fort. Sie bestiegen ihn von den Flanken aus, indem sie sich an seine scharfen Vorsprünge klammerten, und durchsuchten dabei jede Einbuchtung und jede Ritze. Eines Tages, als sie unweit des Gipfels auf ein Loch stießen, entdeckten sie, dass er innen hohl war. Zunächst hatten sie die Öffnung mit einem Tierbau verwechselt, um dann festzustellen, dass sie der Eingang zu einer großen Höhle war. Sie ließen sich mit Seilen ins Innere hinab, überzeugt, endlich das Versteck mit den Reichtümern von Pirat Clipperton aufgespürt zu haben.
Durch das Loch fiel von oben wie ein Kegel das Sonnenlicht und wurde in alle Richtungen vom Blindflug tausender Fledermäuse gekreuzt. Der Rest lag im Dunkeln und verströmte den säuerlich klebrigen Moschusgeruch eingesperrter Tiere, den die Drüsen der Fledermäuse und der Kröten absonderten, die dick und formlos im Hintergrund übereinanderlagen. In diesem konzentrierten Reich schwarzen Kleingetiers war die Stille so vollkommen, dass einem davon die Ohren summten. Weder das Blasen des Windes noch das Brausen des Meeres drangen bis dorthin.
WährenddieMännerinihremGoldrauschsogardieFroschbäuchenachantikemSchmuckundaltenMünzendurchsuchten,machtensichdieFrauendaran,dieVerwüstungenderRegenfällebeiseitezuräumen,indemsieStaubwedel,Besen,Wischlappen,Handfeger,WaschlaugeundSeifeinBewegungsetzten.TrotzihrerSchwangerschaftstelltesichAliciaandieSpitzederPutzkolonneundentfaltetemehrAktivitätdennje.
Sie verspürte keine Übelkeit, litt weder unter Müdigkeit noch unter Depressionen, und ihre Schwangerengelüste hielten sich an die Begrenzungen des Insellebens: Sie hatte unentwegt ein unstillbares Bedürfnis nach Kokosmilch und liebte es, viele Stunden allein im friedlichsten Winkel des Strandes zu verbringen, wo sie am Wasser saß und spürte, wie die Wellen, nachdem sie am Felsenriff zu Gischt zerfallen waren, artig anrollten und ihr den Bauch liebkosten.
Die Hebamme Doña Juana hatte mit ihr den Kompasstest und den Zentimetertest durchgeführt, außerdem befragte sie den Kaffeesatz, und alles hatte ergeben, dass es ein Mädchen würde. Ramón war über die Deutungen von Umfang und Neigung des Bauches in seinen Medizinbüchern zu dem gleichen Schluss gekommen.
Aber Alicia war all diesen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz vom Gegenteil überzeugt. Als könnte sie in sich selbst hineinschauen, wusste sie, dass das Kind, das in ihr wuchs, ein Junge war. Und sie wusste noch mehr: welche Haarfarbe er hatte und welche Augenfarbe und auch, dass er einen kugelrunden Kopf bekäme. Sie war sicher, dass er Ramón heißen und ein Junge von kleiner Statur und sanftem Wesen werden würde, und auf geheimen Kommunikationswegen erfuhr sie auch, dass Freud und Leid des werdenden Lebens millimetergenau nach ihren eigenen Stimmungen ausschlugen, schon jetzt, und das würde die ersten Jahre nach seiner Geburt so bleiben.
Ramón hatte sich ausgerechnet, dass das Versorgungsschiff wieder im Mai zu erwarten war, also reichlich im Voraus, damit sie rechtzeitig in Orizaba wären. Dort würden sie während der Geburt – im Juni – und dem ersten Monat mit dem Baby in der Obhut von Ärzten und Angehörigen angemessen versorgt sein.
»Das Kind wird auf Clipperton zur Welt kommen«, versicherte ihm Alicia.
»Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass du es nicht herbeireden sollst«, warnte er sie. »Außerdem hat Oberst Avalos mir sein Ehrenwort gegeben, dass es diesmal keine Verzögerung geben wird. Er weiß, dass die Entbindung bevorsteht und wird sich ranhalten.«
»Dann verstehe ich auch nicht, was passieren wird«,
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