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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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war.«
    »Schultz?«
    »Genau.«
    »Der ist kein Gringo, er ist Deutscher.«
    »Na und? Ist doch dasselbe.«
    »Du hast keinen Schimmer von Erdkunde.«
    »Meinetwegen, Gringo oder Deutscher, jedenfalls wird der vom Teufel geritten. Als die Indios gegen Arnaud und die anderen Weißen den Aufstand geprobt haben, da hat sich Schultz auf die Seite der Indios geschlagen.«
    »Oh, grausames Leben. Und ich schlage mich jetzt als Indio auf die Seite der Weißen.«
    »Schultz hat in Victoriano einen Komplizen gefunden. Den Schwarzen bringt Arnaud mit ein paar lauten Worten zum Schweigen, aber den Deutschen, den bringt keiner zum Schweigen. Er sagt, er wäre Zivilist, und dass sie sich ihre Militärdisziplin in den Arsch schieben sollen. Dass ihm niemand was zu sagen hat. Wenn es nach ihm ginge, so sagt er, würde er die Holländer ins Meer schmeißen, damit sie dahin verschwinden, wo sie hergekommen sind.«
    »Und wieso können sie ihn jetzt plötzlich verstehen?«
    »Sie verstehen ihn nicht, sondern der schwarze Victoriano übersetzt für ihn. Am Ende leiert der Deutsche nur Ave Marias herunter und der Schwarze erzählt uns, was ihm passt. Wer weiß.«
    Die Feindseligkeit gegenüber den Holländern griff um sich wie eine Seuche. Die Bewohner von Clipperton schlossen die Augen, wenn sie an der Stelle vorbeikamen, wo die gestrandete Nokomis im Sand steckte, weil sie nicht das Wrack sehen wollten. Sie machten die Augen zu, wenn sie Kapitän Jensen begegneten, weil sie ihm nicht ins Gesicht schauen wollten. Alicia hatte den Verdacht, dass mehr dahintersteckte als die Lebensmittelknappheit, also sprach sie Ramón darauf an.
    »Hier ist doch was faul«, sagte sie zu ihm. »Sie hassen die Ausländer nicht nur, sondern haben auch panische Angst vor ihnen.«
    Diese Angst meldete sich nachts, in den halb verfallenen Baracken der Soldaten. Eine Geschichte machte die Runde, von einem zum anderen, und hielt sie allesamt in Atem, deshalb bekam keiner ein Auge zu. Man wusste nicht mehr, wer damit angefangen hatte, aber jeder erzählte sie dem Nächsten und dem Übernächsten weiter, als wäre er selbst dabei gewesen, und glaubte daran wie an das Credo. Es war die Geschichte von einem holländischen Kapitän, dessen Schiff in einen Sturm geraten war. Die Mannschaft brüllte und flehte, dass er irgendwo anlegen sollte, aber der vor Stolz trunkene Kapitän weigerte sich und schickte sie alle in den Tod. Das war der Grund, weshalb er dazu verflucht wurde, für alle Ewigkeit die sieben Meere zu befahren und zwar stets in den schlimmsten Sturmnächten. Es war der Fliegende Holländer. Als einzige Nahrung nimmt er rot glühendes Eisen zu sich und als einziges Getränk Galle. Er kann nur alle sieben Jahre an Land gehen, und wo er hinkommt, wird jeder, der sein Geisterschiff erblickt, mit dem Zorn Gottes und dem Tod bestraft.
    Die Menschen auf Clipperton machten sich ihren eigenen Reim darauf, zählten die Jahre an den Fingern ab und alles passte, alles trug dazu bei, ihre Furcht anzufachen. Es war das Jahr 14 und 14 war zwei mal sieben, also war es das Jahr, in dem der Fliegende Holländer zurückkam. Die Nokomis hatte ihnen einen Orkan und den Hunger beschert: die Strafen Gottes. Jens Jensen war der Fliegende Holländer persönlich, weshalb sie jetzt allesamt verflucht waren.
    Arnaud tat sein Möglichstes, um die erhitzten Gemüter zu beschwichtigen.
    »Warum machen wir uns denn noch zusätzliche Schwierigkeiten?«, fragte er die Soldaten, wenn sie bei Sonnenaufgang bleich und übernächtigt zum Weckruf strammstanden. »Wenn der Fliegende Holländer Eisen isst und Galle trinkt, umso besser. Dann kann er uns jedenfalls nichts wegfuttern.«
    Es war aussichtslos. Die Bewohner von Clipperton hatten sich verändert. Sie waren ängstlicher und verschlagener denn je, wurden streitlustig, auf den eigenen Vorteil bedacht, egoistisch. In dieser Phase ging auch eine äußerliche Veränderung mit ihnen vonstatten: Sie nahmen die unauslöschlichen Züge von Verdammten an, von Bettlern und Landstreichern, und sollten sie nie mehr ablegen. Bei den Kindern war der Wandel deutlicher zu sehen als bei allen anderen. Der Orkan hatte ihreVerbindung zur Zivilisation gekappt, und sie fielen binnen24 Stunden um 24 Jahrhunderte zurück. Angesichts des Notstands, der auf der Insel herrschte, vergaßen die Erwachsenen, sie zu waschen und zu kleiden, ihnen den Tag zu strukturieren und sie anzuleiten, und als sie es endlich bemerkten, tobten ihre eigenen Kinder bereits als

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