Die Insel der Verlorenen - Roman
Gewehröl, von dem warmen Essen in den Taschen, von Furzen und Rülpsern stickigen Luft.
Das Ruckeln der Eisenbahn schob sie dicht zusammen, bis Tirsa fast auf seinem Schoß saß. Die Berührung der Haut des anderen gefiel beiden. Der Geruch und die Wärme vom Körper des anderen waren ihnen angenehm. Ihm fielen vielleicht ihre Augen auf mit dem sehr weißen Weiß und dem sehr schwarzen Schwarz, und ihr sein Lächeln.
Nach einem kurzen heftigen Flirt fand die Zeremonie statt, die General Urquizo als »reine Militärhochzeit« bezeichnete:
»Wie heißt du, Kleine?«
»Tirsa Rendón, und du?«
»Secundino Cardona.«
»Abgemacht?«
»Abgemacht.«
»Schlag ein.«
»Da.«
Clipperton
– 1914 –
»Die bringen sich um, die bringen sich um!«
Die Frauen kamen wie ein ganzer Hühnerhof herbeigelaufen, lärmend und flügelschlagend wie die Hennen und kollernd wie die Truthähne.
»Die bringen sich uuuuuum!«
»Wer? Wer bringt sich um?«, Arnaud, der gerade sein Haus neu deckte, war mit einem Satz vom Gerüst auf dem Boden. »Jetzt hört eine von euch mal auf zu kreischen und sagt mir, wer wen umbringt.«
Aber die Frauen waren schon Richtung Norden losgeeilt, so dass ihm nichts anderes übrig blieb, als hinterherzulaufen. Alicia schloss sich an.
Als sie sich Schultz’ Haus näherten, hörten sie das Schimpfen, die Schläge, das Geheul. Dann sahen sie den Deutschen und seine Frau Daría Pinzón, beide so nackt wie sie auf die Welt gekommen waren, ineinander verkeilt wie zwei Kampfhunde, mit nichts anderem im Sinn als den anderen umzubringen. Der Mann knurrte und hatte Schaum vorm Mund, er zog die Frau an den Haaren und klatschte ihr mit seiner Pranke auf den Hintern. Sie jaulte und kratzte den Deutschen, riss ihm mit Zähnen und Klauen die Haut in Fetzen ab. Er schien das gar nicht zu merken, sondern fuhr einfach fort, ihr den schon blauen Po zu vertrimmen. Dann machte sie sich mit einem Ruck los und packte den Deutschen mit beiden Händen und aller Kraft an den Hoden, entschlossen, die Beute bis zum Tag des Jüngsten Gerichts nicht mehr freizugeben. Er heulte wie eine läufige Wölfin und, nach mehreren vergeblichen Versuchen, Daría abzuschütteln, gelang es ihm endlich, ihr einen Stoß zu versetzen, so dass sie wie eine Kugel aus Haut und Haaren über den Korallensand rollte.
Die Frauen bildeten einen Kreis und verfolgten das Schaustück, mal den einen, mal den andern anfeuernd:
»Kastrier ihn, Daría, kastrier ihn, dieses Dreckschwein!«
»Zeigs ihr, der Hexe, Gringo, damit sie aufhört, dir die Hörner aufzusetzen!«
Arnaud, der einen Stock vom Boden aufgehoben hatte, nutzte die kurze Kampfpause, trat auf Schultz zu, holte aus und ließ den Knüppel auf dessen Kopf niedersausen. Schultz sank ein wie ein geschmolzener Wachsberg. Ramón, der von der Wucht auf den Knien gelandet war, hatte sich noch nicht wieder aufgerichtet, als ihn Daría Pinzón mit ihrem ganzen Gewicht traf, die sich von hinten auf ihn geworfen hatte und ihn mit ihrem schweren Stutengesäß zu Boden drückte.
»Halt du dich da raus, Hauptmann«, brüllte sie, »das ist ein Streit zwischen meinem Kerl und mir.«
Arnaud gelang es, sich umzudrehen und sich an ihren Rücken zu klammern, dann verdrehte er ihr einen Arm nach hinten und hatte sie im Griff, indem er ihr die Knie in die Rippen stieß.
»Ich halte mich bestimmt nicht raus«, keuchte er. »Das hier betrifft die öffentliche Ordnung.«
»Der Gringo ist verrückt geworden, Hauptmann. Er wollte mich umbringen!«
»Halt den Mund, du bist doch selber ein Miststück. Geh dich anziehen, schamloses Weib, und bring mir einen Strick, damit wir Schultz festbinden, jetzt, wo er schläft.«
Die Frauen liefen auseinander. Daría kam, bis zum Nabel in eine Decke gewickelt, zurück, und brachte den Strick. Arnaud fesselte den wie tot daliegenden Schultz, indem er ihm den Strick mehrmals um den Leib wand, und dann kräftig daran zog, bis der Deutsche eingewickelt und verschnürt war wie eine Maispastete in ihren Blättern. Dann zerrte er ihn bis zum Hauseingang und band ihn an einen Pfahl. Schultz öffnete die Augen und sah sich um. Er versuchte, sich aufzurichten, aber die Fessel hinderte ihn daran.
Alicia, die der Szene aus einiger Entfernung beigewohnt hatte, brachte einen Krug Wasser und reichte ihn Arnaud. Er trank und setzte ihn dann dem Deutschen an die Lippen. Schultz nahm einen Schluck, dann noch einen und spuckte Arnaud den dritten ins Gesicht.
»Schwein«, versetzte der und
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