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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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drehte ihm den Kopf mit einer Ohrfeige auf die andere Seite.
    »Mehr Wasser«, bat Schultz.
    »Was?«
    »Mehr Wasser.«
    »Wie verdammt oft muss man dir noch beibringen, dass das bitte heißt?«
    »Bitte.«
    »Gut, aber ich warne dich, wenn du mich anspuckst, dann polier ich dir die Fresse und schlage dir sämtliche Zähne aus.«
    »Nein.«
    Arnaud hielt ihm den Krug hin, und Schultz trank mehrere Schlucke.
    »Den Gringo überlass ich dir, Hauptmann«, sagte Daría. »Mach mit ihm, was du für richtig hältst. Du kannst eine andere suchen, die sich um ihn kümmert. Weil ich jetzt gehe.«
    »Ach, sag nur? Du gehst? Und kannst du mir auch sagen, wie? Vielleicht übers Wasser, wie unser Herr Jesus Christus?«
    »Das braucht dich ja nicht zu kümmern«, gab die Frau zurück und entfernte sich rasch, als wüsste sie genau, wo sie hinwollte.
    »Hör auf mit dem Arsch zu wackeln, Daría Pinzón, weil du den Männern mit diesem aufreizenden Getue den Kopf verdrehst«, rief Arnaud ihr hinterher.
    »Siehst du?«, sprang Alicia darauf an. »Ich sag’s doch. Diese Herumtreiberin streckt dir den Arsch entgegen … Gibst du es jetzt wenigstens zu? Genau das habe ich dir schon die ganze Zeit gesagt, aber du hast es abgestritten! Hör zu, Ramón, ich habe es dir gesagt, die ganze Zeit, stimmt’s?«
    »Du hast es vor dem Orkan gesagt, deshalb gilt es nicht mehr. Wir müssen jetzt wieder vor vorn beginnen«, zog sich Arnaud aus der Affäre und versuchte, den alten Ehestreit abzuwenden, so gut er konnte.
    Es war nicht der erste Zwischenfall mit Schultz.
    Die Zwischenfälle häuften sich, so dass inzwischen jeden Tag irgendetwas los war, und Arnaud gab Daría Pinzón im Stillen recht: Der Deutsche hatte den Verstand verloren. Am Anfang machte er sich über die paar Loren und die Reste der Decauville-Bahn her, die vom Orkan verschont geblieben waren. Mit der gleichen Verbissenheit, mit der er die Strecke aufgebaut und tausendmal instand gesetzt hatte, riss er die Schienen aus ihrer Verankerung und schleuderte sie wie Speere ins Meer. Als er sich lange genug an den Gegenständen abreagiert hatte, ging er ohne Unterschied auf Männer, Frauen, Tiere und Schiffbrüchige los. Auf Letztere besonders oft; sie wurden zum Hauptziel seiner Gewaltausbrüche.
    Alicia interpretierte das auf ihre Weise.
    »Der arme Mann ist ein Arbeitstier«, sagte sie. »Sie haben ihm seinen Job weggenommen und jetzt weiß er nicht, wohin mit seiner ganzen Energie, die ihn zum Überschäumen bringt.«
    Daría Pinzón schob es dagegen auf die Verknappung der Lebensmittel.
    »Die Weißen sind daran gewöhnt, viel zu essen«, erklärte sie, »wenn die hungern müssen, drehen sie durch. Schultz hasst die Schiffbrüchigen, weil sie dran schuld sind, dass wir weniger zu essen haben.«
    »Nicht sie sind dran schuld, sondern der Orkan«, verbesserte Arnaud sie, weil er verhindern wollte, dass die ablehnende Haltung gegenüber den Neuankömmlingen auf die ganze Siedlung übergriff.
    »Das ist dasselbe«, versetzte Daría. »Schiffbrüchige oder Orkane, Orkane oder Schiffbrüchige. Beides ist gleichzeitig gekommen, und jetzt müssen wir hungern.«
    Tatsächlich waren ihre Lebensmittel zum Großteil vernichtet. Aber nicht alle, wie Arnaud zunächst befürchtet hatte. Zwar waren viele Säcke Getreide nass geworden und schimmelten. Ihr Obst- und Gemüsegarten war spurlos verschwunden, und das Meer hatte Dosen und andere Vorräte weggespült. Sie hatten keine Milch mehr, keinen Zucker, kein Mehl und keinen Kaffee. Aber es waren noch Trockenfleisch, Mais, Konserven und schwarze Bohnen in ausreichender Menge vorhanden, um das Überleben der alten und der neuen Bevölkerung für zwei bis drei Monate zu sichern. Vorausgesetzt, dass sie mit ihren Rationen calvinistisch geizten und franziskanisch darbten. Hungern stand auf dem Programm, aber es ging nicht um Leben und Tod, sofern man den dramatischen Vitamin-C-Mangel außer Acht ließ. Sie konnten bis zur nächsten Lieferung des Versorgungsschiffs, der El Demócrata oder der Corrigan II, durchhalten, ermutigte Arnaud seine Leute.
    Die Schiffbrüchigen stellten sich als Holländer heraus, obwohl ihr verunglückter Schoner – die Nokomis – unter nordamerikanischer Flagge gesegelt war. Ihr Kapitän war ein alter Seelöwe, ein gewisser Jens Jensen, mit dem sich Arnaud auf Englisch unterhalten konnte. Auf diese Weise brachte er in Erfahrung, dass Jensen mit verschiedenen Agrarerzeugnissen handelte und diese von einem Ende der Welt zum

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