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Die Insel der Verlorenen - Roman

Die Insel der Verlorenen - Roman

Titel: Die Insel der Verlorenen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luchterhand
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anderen beförderte. In der Sturmnacht war die Nokomis von Costa Rica nach San Francisco unterwegs gewesen und Jensens Schilderung vom Überleben seiner Crew deckte sich im Großen und Ganzen mit der Version des Leuchtturmwärters Victoriano Álvarez.
    Jensens Frau hieß Mary, wie die Muttergottes, und wandelte, durchscheinend und engelsgleich, den Blick stets zum Jenseits gewandt, über Clippertons raue Strände. Die Töchter des Paares waren die sechsjährige Mary und die vierjährige Emma, und obwohl beide weißgolden waren wie die Mutter, schlossen sie sich an den Steilküsten der Landkrabbenjagd und all den anderen diesseitigen Kinderspielen an.
    Die zwölf Holländer waren friedliebende, höfliche Menschen. Sie waren so dankbar für die freundliche Aufnahme, dass sie trotz ihres jammernswerten körperlichen Zustands unverzüglich an die Arbeit gingen und alle Gebäude, die nicht unwiederbringlich dem Erdboden gleichgemacht waren, wieder aufrichteten. Aus dem gesunkenen Schiff bargen sie Arzneien und ein paar Kleidungsstücke und stellten alles Hauptmann Arnaud zur Verfügung. Sie kooperierten, wo sie nur konnten, und verlangten nicht mehr, als das, was man ihnen zuteilte. Sie wrackten die Reste der Nokomis ab und verwendeten das Holz für den Wiederaufbau der Insel. Doch auch wenn sie sich nützlich machten und niemandem zur Last fallen wollten, verging die Zeit und sie blieben da und aßen. So kärglich wie alle, aber sie aßen, und das war in den Augen der hungernden Leute das Schlimmste, was sie tun konnten.
    Eines Abends brachte Tirsa Rendón wie immer ihrem Mann Secundino Cardona das Essen, der ganz allmählich, mit Fortschritten und Rückfällen, wieder zu Kräften kam. Seine Rettung war im Grunde ein Wunder, seiner Eselsnatur genauso geschuldet wie Arnauds Behandlung und Tirsas Bittgebeten und Opfergaben an die Heilige von Cárbora. Sie half ihm, sich aufzurichten und an die Wand zu lehnen, dann reichte sie ihm den vollen Teller mit schwarzen Bohnen und Maistortillas.
    »Du hast Glück im Unglück«, ließ sie ihn wissen. »Weil du schwer verletzt bist, bekommst du als Einziger eine ganze Portion. Wir anderen essen nur ein Drittel davon. Die anderen behaupten, die Befehlshaber und die Ausländer würden essen, während die Truppe leer ausgeht.«
    »Sag Ramón, er soll mir ab morgen das Gleiche zuteilen wie den anderen auch.«
    »Es gab schon Streit deshalb. Er hat sie murren hören, dass du sein Liebling wärst. Du würdest dich auf die faule Haut legen, aber sie könnten schuften, und dann isst du auch noch das Dreifache.«
    »Idioten.«
    »Dasselbe hat Arnaud auch zu ihnen gesagt, er achtet nämlich nicht mehr auf seine Ausdrucksweise, weißt du. Er hat doch immer so vornehm geredet, aber jetzt hat er ein Mundwerk wie ein altes Waschweib, flucht und wettert bei jeder Gelegenheit, ganz gleich, wer ihm über den Weg läuft. Und die anderen stehen ihm in nichts nach. Wenn du wüsstest, die Leute sind wie ausgewechselt. Als würden sie allesamt vom Teufel geritten. Victoriano schimpft am allerlautesten, er ist übrigens auch der Anführer und das Sprachrohr der Rebellen. Heute Nacht hat irgendjemand das Türschloss der Apotheke geknackt, wo die Vorräte aufgehoben werden, und ein paar Konserven geklaut.«
    »Das war ja ein verdammt kurzer Frieden. Kaum ist die Schlacht gegen den Orkan geschlagen, schon stecken wir mitten im Konservenkrieg. Und, was glaubst du, wer das war?«
    »Keine Ahnung. Wer auch immer es war, er hat an die Wand geschrieben: ›Für das Volk‹, unterschrieben mit ›Die Hand, die zerquetscht‹.«
    »Das ist nicht ohne.«
    »Finde ich auch. Arnaud hat es heute Morgen entdeckt, du hättest ihn beim Appell mal sehen sollen, seine Augen haben Funken gesprüht. Er hat eine allgemeine Durchsuchung befohlen und angedroht, dass er den, bei dem er die Konserven findet, mit der Peitsche windelweich schlägt. Er hat gesagt, das sei eine Warnung an diesen Hand-die-zerquetscht, wenn er den erwischt, hat er gesagt, dann würde er ihm höchstpersönlich mit den beiden Händen, die der liebe Gott ihm gegeben hat, die Eier zerquetschen, bis das letzte Reiskorn wieder in der Apotheke ist. Damit er aufhört zu stehlen und mit seinen Schmierereien den Spaßvogel zu spielen.«
    »Die Hand, die zerquetscht? Das ist in der Tat spaßig. Und, haben sie was herausbekommen?«
    »Nichts. Ein paar Frauen behaupten, der schwarze Victoriano wäre es gewesen, und andere schwören beim Kreuz, dass es der Gringo

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