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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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hindurch, er tröstet, erfreut, ermutigt, weist den Weg und rettet aus Gefahr und Not. Wie wohl tut es auf dem Meer das göttliche Leuchtfeuer zu erblicken, aber welch Zittern und Zagen kommt über den Seemann, wenn er im Sturm in die Finsternis der Küste verschlagen wird. Wir wollen unserem Herrn danken für seine Güte und Barmherzigkeit. Lasst uns beten.
     
    Dank dir oh Vater meines Lebens,
    Dass Du mich froh zurückgebracht,
    Ich flehte nicht zu Dir vergebens:
    Du hast mich väterlich bewacht.
    Durch deine Gnade bin ich hier,
    Dein Schutz und Schirm war über mir.
     
    Aus dem hinteren Kirchenschiff ertönte eine Frauenstimme. »Wir bitten dich, oh Herr, zwar nicht, dass Schiffe stranden und umkommen im Heulen des Sturms und im Rasen der See – aber wenn es schon deinem Ratschluss gefällt, sie stranden zu lassen, dann, oh Herr, führe sie hier an den Strand – zum Wohle der armen Bewohner dieser Insel. Amen.«
    »Amen«, erschallte es aus allen Richtungen.
    »Amen. Amen«, antwortete das Echo.
    Jensens rechter Mundwinkel zuckte. Er warf die Bibel auf den Altar, stampfte mit den Füßen auf und schrie: »Der Herr kennt die Seinen und weiß sie zu beschirmen in jeglicher Gefahr; aber die Spötter und Verächter, die Gottlosen, zerschmettert er. Der Herr wird dich strafen, Weib, vermaledeites. Der Herr wird dich strafen!«
     
    H
     
    »Der Herr wird dich strafen. Weib vermaledeites.«
    Keike spürte, wie der Zorn in ihr brodelte. Es fühlte sich an wie ein nahendes Unwetter, das die Luft verdüsterte, bevor Donner und Blitz sich entluden. Sie hatte große Lust, den Pastor in seinen eigenen Kuhmist zu stoßen, ihn mit der Mistgabel zu kitzeln und ihn mit der stinkenden Masse zu bedecken. Er sollte ihr gestohlen bleiben mit seinem Leuchtturmgeschwätz.
    Der Pastor brauchte kein Strandgut. Er lebte von ihrem Land und Geld. Er besaß den zehnten Teil allen fruchtbaren Landes auf der Insel. Dazu viele Kühe und Wiesen. Das meiste Land hatte er verpachtet. Selbst den Friedhof hatte er verheuert. Er kassierte einige Hundert Mark dafür. Und die Pächter durften ihre Heuer nicht einmal abverdienen. Dem Pastor gehörten auch an die fünfzig Demat Heideland. Er hatte genug zum Brennen. Sein Schornstein rauchte immer. Und er scheute sich nicht, den Frauen Land wegzunehmen, »im Namen Gottes«, zur Bekämpfung ihrer Sünden. Bleib mir vom Leib mit deinem Leuchtturmgott, du scheinheiliger Gottesdiener. Es kann nicht Gottes Wille sein, dass wir hungern, weil du uns bestiehlst.
    Keike dachte an Marrets Geburt. Sie war Wöchnerin gewesen. Sie hatte vor Marrets Taufe das Haus verlassen, um sich Windeln von Medje zu holen. Jette Bendixen petzte es dem Pastor. Zur Strafe musste Keike ein Stück Land abgeben. Alle Mütter, die die Sünde begangen, vor der Taufe des Neugeborenen das Haus zu verlassen, mussten ein Stück Land an die Kirche verschenken. Der Pastor nannte es verschenken, aber er zwang sie dazu. Ist das gerecht, Gott der Leuchttürme?
    Bevor sie dem Pastor die Wiese übergab, hatte sie dreimal draufgespuckt. Und als er sie betrat, verdorrte das Gras unter seinen Füßen. Selbst Tau und Regen machten die Wiese nicht wieder grün. Und auch im Frühling und im Sommer blieb sie braun. Bis heute wuchs nichts mehr auf diesem Land.
    Keike ging nicht nach Hause. Sie lief zum Strand. Sie scherte sich nicht um ihre gute Sonntagstracht. Sie raffte ihre schwarzen Röcke, rannte so nah wie möglich am Meeressaum entlang. Wasser und Sand spritzten auf. Ihr Rock bedeckte sich mit hellen Flecken. Es war ihr egal. Sie rannte. Ihre Haube fiel herab. Die Zöpfe lösten sich. Sie wirbelten und klatschten um ihren Kopf. Manche Schläge schmerzten. Sie atmete die kalte Salzluft ein, die ihre Lungen durchströmte wie eine gewaltige Welle, die an den Strand rollte. Sie lief. Ihr Atem zerschnitt ihr die Brust wie eine Sichel. Aus dem Nichts erschien vor ihr ein Rudel wilder Hunde. Sie blieb keuchend stehen. Die Hunde umkreisten eine schwarze Gestalt. Sie kläfften. Einige heulten wie hungrige Wölfe. Es war der Pastor, der in ihrer Mitte stand. Die Hunde bedrängten ihn immer stärker, sie keiften immer lauter, bedrohlicher. Ihr Bellen trug weit über das Meer. Es war sicher noch auf dem Festland zu hören. Jäh versiegte das Gebell. Keike hörte nur noch Knurren. Dann Schnappen. Die gefletschten Zähne bissen zu. Mitten in das Gottesschwarz hinein. Tuchfetzen flatterten im Wind. Wunden klafften. Blutige Hundemäuler.
    Sie hatte das Schmatzen

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