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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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willen. Oh gib uns, was gut ist, wenn wir nicht darum bitten, und halte ab von uns, weiser Gott, was böse ist, auch wenn wir in unserer Blindheit danach schreien und jammern. Amen.«
    Frau Jensen teilte das Essen aus. Sie selbst nahm sich zuletzt und am wenigsten. Während des Essens schwiegen alle. Die Messer und Gabeln schabten und klapperten auf den Tellern. Im Hintergrund tickte die Standuhr. Die verbrauchte Luft im Zimmer war jetzt zusätzlich von Kohlgeruch erfüllt. Andreas Hartmann kaute langsam. Sein Nacken versteifte. Lieber hätte er in seiner Baracke gesessen und die anstehenden Arbeiten für die nächste Woche durchdacht. Einer der Töchter fiel die Gabel aus der Hand. Sie schlug auf dem Teller auf. Sie erhielt einen strafenden Blick, der bedeutete, dass sie die Stube zu verlassen hatte.
    Endlich wurden die Teller und Schüsseln abgeräumt. Frau Jensen zog sich mit den Kindern zurück.
    »Wie steht es, Herr Hartmann?«, fragte Kapitän Lorenzen. Auch er schien sichtlich erleichtert über das Ende der Mahlzeit.
    »Die Bohlen sind gelegt. Ich bin zufrieden. Nächste Woche heben wir die Baugrube aus. Dann kommen die Steine.«
    »Es wird höchste Zeit mit dem Leuchtturm. Wegen der vielen Brandungen und der verschieden starken Stromläufe vor der Insel.«
    »Ja, das ist auch in den Genehmigungsunterlagen vermerkt.«
    »Tausende von Handelsschiffen sind vor der Insel gestrandet. Neulich waren es zehn Schiffe in einem Monat. Und in den nächsten fünfzig Jahren werden die schwersten Stürme aus Nordwest erwartet.«
    Pastor Jensen hob die Augenbrauen. Er spitzte seine schmalen Lippen. »Mein Ältester, der Matthias, er lebt jetzt in Hamburg, war der Erste, der der Regierung den Vorschlag machte, einen Leuchtturm auf der Insel zu bauen. Aber er erhielt nicht einmal eine Antwort.«
    »Man scheut die Kosten. Viele gefährliche Küsten sind noch unbefeuert. Niemand will daran etwas ändern. Die Regierung nicht und die Küstenbewohner und Strandvögte am allerwenigsten. Hier auf Taldsum ist es doch nicht anders. Seit ich auf der Insel bin, sehe ich mit eigenen Augen, wie es alle an den Strand auf Beutezug treibt.«
    Lorenzen nahm seine Pfeife aus dem Mund. »Die Menschen auf Taldsum sind arm. Die großen Zeiten des Walfangs sind vorbei.«
    »Warum wird die Insel nicht zum Seebad? Viele Inseln verbessern ihre Einkünfte durch Kurgäste. Die Frauen könnten in ihren Häusern Gäste aufnehmen und etwas verdienen.«
    Jensen schnaubte. »Ein Seebad? Hier auf der Insel? Das ist der Untergang aller Sittsamkeit, die wir uns bewahrt haben. Die neuen Moden und der Luxus verderben unsere Frauen. Es kommen lauter verrückte Städter auf die Insel, die meinen, Nacktbaden könne sie heilen. Gott behüte uns davor! Die vielen Leuchtturmarbeiter auf der Insel machen mir schon genug Sorgen. Ich kann nur hoffen, dass Sie die Männer unter Kontrolle haben und sie unseren jungen Mädchen und Frauen nicht nachsteigen.« Jensens Lippen spitzten sich. »Überhaupt, die Insel braucht kein Seebad. Die Taldsumer sind nicht so arm, wie man denkt. Sie sind eher dumm und selbstsüchtig. Zum Beispiel die Sanddünen. Sie wandern und bedrohen unsere Häuser und den Hafen. Sie richten mehr Schaden an, als eine Feuersbrunst. Sie würden allerdings nicht wandern, wenn man sie nicht wandern ließe. Aber jeder lässt sie fliegen, wohin sie wollen. Anstatt mehr Sandhafer zu pflanzen, lässt man die Dünen wandern, genauso wie mein Haus vermodert, bis es mich unter sich begräbt. Eines Tages wird man meine Familie unter den Trümmern des Pastorats finden. Schauen Sie, dort, Herr Hartmann, der Mittelbalken, morsch, und der Fußboden, feucht, alles feucht …«
    Lorenzen wurde laut. »Nun hör doch auf. Ich will dir mal was sagen: Dass du dich für den Leuchtturm einsetzt, liegt nur daran, dass du keine Inselschäfchen verlieren willst. Wenn die Männer ertrinken, hast du weniger Einkommen. Das willst du verhindern. Darum geht es dir. Und außerdem wohnst du nicht schlechter als ich.«
    Jensens Gesicht lief rot an. Seine Schultern hoben sich. »Mir das zu sagen! Nachdem ich euch allen Jahr für Jahr beistehe und Trost und Segen spende. Und dein feines Kapitänshaus, Jacob Lorenzen, ist so warm und trocken wie der Sand im Hochsommer.« Jensens Augen formten sich zu Schlitzen. »Vielleicht ist die Wärme von der Feuersbrunst auf deinem Schiff ja in dein Haus geweht und hat alles so mollig werden lassen. Wenn das so ist, dann schick mir ein bisschen

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