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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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Feuerhitze, damit sie auch meine Balken trocknet.«
    Lorenzens Stuhl polterte zu Boden. »Du Satan in schwarzer Kutte.«
    Der Kapitän schlug die Tür hinter sich zu.
    Andreas Hartmann war verstört. Er erhob sich. »Ich werde mich auch lieber auf den Weg machen.«
    Jensens Glatze glühte. »Das will ich Ihnen sagen, Jacob Lorenzen hat über vierhundert Menschen auf dem Gewissen. Er hat sie alle auf dem Gewissen. Und es wird nun endgültig das letzte Mal sein, dass er mein Haus betreten hat.«
    Andreas Hartmann schwankte die Inselstraße entlang. Er fühlte sich elend. Ihm war schwindelig. Ein abgrundtiefes Gefühl der Verlassenheit erfasste ihn. Die Insulaner, die trostlose Landschaft flossen in ihn hinein wie ein vergifteter Trank, der ihn betäubte. Und t ief unter der Betäubung schwelte Angst. Nackte Angst. Die Angst war sein Zwilling. Sie war an ihm festgewachsen, nirgends ließ sie ihn frei. Arbeiten, arbeiten, das war das einzige Mittel. Er schritt voran. Der Nebel überzog ihn mit einem fein zerstäubten Niesel. Er machte seine Stimmung noch dunkler, seine Angst noch lastender. Aus den Dünen heraus ertönte ein Laut, der wie das Jaulen eines verendenden Tieres klang. Sein Herz verkrampfte sich.
     
    H
     
    Zeugenvernehmung in der Strafsache Hartmann, Andreas.
    Aufgenommen im November, den 27. des Jahres 1868.
     
    Die Zeugen wurden von dem Gegenstand der Vernehmung verständigt, zur Wahrheitsangabe ermahnt und vernommen wie folgt:
    Karl Johannsen, Lehrer, protestantisch, Justus-Internatsanstalt zu Berlin:
     
    »Andreas Hartmann war ein in sich zurückgezogener Junge, aber er hatte einen beweglichen Geist. Er war ein fleißiger Schüler. Er war begabt, strebsam und anständig. Besonders die Wissenschaft interessierte ihn. Er hat oft in der Internatsbibliothek gesessen und gelesen. Die Technik interessierte ihn besonders. Der Anstaltsarzt bezeichnete ihn als gesund. Körperlich war Hartmann auch kräftig. Er war aber sehr unruhig. Morgens stand er immer als erster auf. Er hatte ständig etwas Gehetztes an sich. Auch beim Lesen. Er schien die Texte förmlich zu verschlingen. Ich ermahnte ihn manches Mal, ordentlich mit den Büchern umzugehen und nicht so wild umzublättern. Er hatte die Neigung, sich zu verlieren. Er las und vergaß die Zeit. Und wenn man ihn ansprach, schreckte er auf, als wäre er von etwas bedroht.
    Nachts schrie er häufig. Er träumte schlecht. Er war nicht zu beruhigen und wir wussten nicht, was wir mit ihm anstellen sollten. Erst im Karzer kam er zur Ruhe.
    Aber ein Verbrechen, wie er es begangen hat, hätte ich ihm nie zugetraut. Immerhin habe ich mich nicht darin getäuscht, dass er begangene Vergehen und Verbrechen offen und ehrlich eingesteht. Hartmann ist, nun, ich muss wohl sagen, war eine aufrichtige Natur.
    Es steht für mich außer Zweifel, dass sich sein einst so scharfer Verstand durch irgendwelche leidigen Umstände umnachtete, sodass er zu dieser Tat fähig wurde.«
     
    Julius Krause, Pastor der Familie Hartmann in Hamburg:
     
    »Andreas Hartmann war geachtet und bei den meisten beliebt. Sein Haushalt machte den Eindruck guter Ordnung. Ich war mit der Familie eng befreundet. Wir wurden immer gastlich und freundlich aufgenommen. Es ging sehr harmonisch bei den Hartmanns zu. Es war eine glückliche Ehe, möchte ich sagen. Von sittlichen Verfehlungen ist mir nie etwas bekannt geworden. Ich hätte es sicher erfahren, wenn in der Gemeinde so etwas über Hartmann gesprochen worden wäre. Ich schließe das vollkommen aus. Das Familienleben war ruhig und friedlich. Und zu seinen Kindern war er freundlich und nachsichtig.
    Nach dem Inselaufenthalt war er verändert, das muss ich zugeben. Er war noch weniger gesprächig als sonst, oft in sich gekehrt. Aber ich denke, das war seine Natur. Er hatte immer schon Tendenz dazu. Er arbeitete ja auch oft die Nächte durch. Wenn ich mit seiner Frau beim Tee saß, hörte man ihn stundenlang in seinem Arbeitszimmer auf und ab gehen. Ich habe ihm, als er von Taldsum zurückkam, geraten, sich einmal ordentlich auszuruhen.
    Ich kann nichts anderes sagen, als dass er ein guter Mensch war, etwas ungeduldig, in beständiger Aufgeregtheit seines Gemüts, aber nie beleidigend oder gar gewalttätig. Mir ist das alles ein Rätsel. Wenn man mich gefragt hätte, wer in der Gemeinde der aufrichtigste Mensch ist, hätte ich frischweg geantwortet: der Andreas Hartmann. Aber er muss wohl so sehr an seelischen Kämpfen gelitten haben, die nicht nach außen

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