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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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drangen, die uns verborgen geblieben sind. Er hat mir niemals etwas anvertraut, was seine Tat erklären könnte. Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich weiß noch, wir waren zu Gast, als sein Sohn Hannes sich einmal ein Loch in den Kopf stieß und stark blutete. Seine Frau wollte ihm das Loch zeigen, da hatte er zu ihr gesagt: ›Du weißt doch, dass ich kein Blut sehen kann‹.«
     

3
    Der Regen prasselte an das Fenster der kleinen Baubaracke. Andreas Hartmann fühlte sich wie ein Gefangener. Die Arbeiten standen still. Die Baugrube war noch nicht fertig ausgehoben. Und die Steine kamen auch nicht. Warum nicht? Er wischte die beschlagene Scheibe trocken. Die Insel hüllte sich in Grau. Grau der Himmel, grau die Dünen, grau die Heide, grau das Meer. Seit Tagen regnete es Tampen aus den Wolken. Regen oder Nebel, Nebel oder Regen. Er hatte diese meerumspülte Einöde jetzt schon satt, dieses graue Nichts, in das er ständig stierte. Die Insellandschaft war auch ohne den Grauschleier trostlos genug. Um sich von seinen düsteren Gedanken abzulenken, breitete er die Baupläne auf dem Tisch aus, glättete das Papier, indem er mit der rechten Hand über die Zeichnungen strich. Sein Blick folgte der Treppe und den Etagenböden. Stockwerk für Stockwerk erklomm er seinen Turm. Vom Eingang über den Betriebsmittelraum, zum Wohnraum bis hinauf zur Laterne. Wann würde sie endlich leuchten? Wo blieben die Fundamentsteine? Er hatte sie rechtzeitig geordert. Es war zum Verzweifeln. Andreas Hartmann starrte aus dem Fenster.
    Die Arbeiter drückten sich in ihrer Baracke herum. Sie spielten Karten, tranken zu viel Bier, hänselten und stritten sich. Diese verfluchte Insel. Alles verschwor sich gegen ihn. Wer weiß, vielleicht hatten die Insulaner auch etwas mit der ausbleibenden Lieferung zu schaffen. Aber sie sollten sich wundern. Keine Macht der Welt würde ihn, Andreas Hartmann, davon abbringen, sein Werk zu vollenden. Er war auf der Insel und würde erst wieder abfahren, wenn der Leuchtturm stand und aufs Meer leuchtete.
    Das Talglicht flackerte. Andreas Hartmann kürzte den Docht. Er sehnte sich plötzlich nach Almut und den Kindern. Er faltete die Baupläne zusammen, holte einen Briefbogen hervor.
     
    Meine liebe Almut,
     
    Es ist ein lausiges Wetter. Die Arbeiten stehen still. Ich nutze die Gelegenheit, Dir meine ersten Eindrücke zu schildern.
     
    Der Leuchtturmbau scheint unter einem schlechten Stern zu stehen. Schon die Anreise war alles andere als vergnüglich. Besonders die letzte Wegstrecke war abscheulich. Die Überfahrt war für mich, wie Du Dir denken kannst, ein Ritt durch die Hölle. Ich will nicht näher darauf eingehen. Ich bin froh, sie überstanden zu haben. Nun sitze ich in meiner Baubaracke und schreibe Dir, umgeben von trostloser Einöde. Es fehlt jede Spur von Zivilisation auf der Insel. Das Eiland besteht zum größten Teil aus Heidekraut und Dünen. Nur schmale Marschränder stehen für Ackerbau und Viehzucht zur Verfügung. Fast alle Menschen leben hier vom Fischfang und der Seefahrt. Die Inselbewohner sind von einer Ungeschliffenheit, dass ich daran verzweifle. Ich bin in ein Nest von Strandräubern geraten. Ricken hat recht. Bis auf den Pastor und ein paar Kapitänsfamilien will niemand auf der Insel einen Leuchtturm. Alle bereichern sich an den Schiffbrüchen und fürchten um ihr Einkommen. Pastor Jensen erzählte mir, dass es hier noch vor nicht allzu langer Zeit Strandräuber gab, die die Überlebenden, die sich mit letzter Kraft an den Strand robbten, ertränkten oder am Strand erschlugen. Und dass sie die Schiffe vorsätzlich irreleiteten. Sie banden eine Lampe an den Schwanz eines Pferdes und gingen den Strand entlang, um eine Schiffslaterne vorzutäuschen.
     
    Dies sind meine ersten Eindrücke von der Insel, meine Liebe. Ich weiß Dir nichts Anmutigeres zu berichten. Fast alle Insulaner verdammen mich und die Handwerker. Alle empfinden den Leuchtturm als Bedrohung. Sie wollen die Schiffsunglücke, um Bergegeld zu kassieren und Strandgut zu stehlen. Auch die Frauen.Obwohl ihre Männer und Söhne auf See umkommen. Einige Frauen haben ihre ganze männliche Familie verloren, weil die Väter mit ihren Söhnen auf demselben Schiff fuhren.
     
    Es gibt viel mehr Frauen als Männer auf der Insel. Es kommen zweihundertsiebzig Männer auf dreihundertdreißig Frauen, sagt der Pastor. Überall sehe ich Witwen herumlaufen.
     
    Ich habe es nicht leicht. Schon bei meiner Ankunft ahnte ich, was mich

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