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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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Keike blickte auf die Dünenlandschaft. Die Dünen hatten viele Gesichter. Der Wind wehte ihnen Kräuselfalten in die Haut. Wenn es Nägel regnete, waren sie mit kleinen Löchern übersäht, wie ein fetter, schwerer Käse. Dann lagen die Sandkörner traurig und träge in ihrem Dünenbett und warteten auf bessere Zeiten. Schien die Sonne, kleideten sich sie sich in Samt und Seide und jedes Sandkorn glänzte wie ein kleines Juwel. Die Körner erfreuten sich ihrer Leichtigkeit, rieselten die Berge hinab, tanzten über Berg und Tal. Wenn es stürmte, rauchten die Dünen wie Schornsteine. Und bei Nebel trugen sie Leichenkleider. Und im Winter hüllten sie sich in weiße Mäntel.
    Manchmal zogen die Dünen Fratzen. Sie schnitten Grimassen, rollten mit den Augen, lachten mit weit aufgerissenen Fischmäulern aus ihren Grasbärten hervor. Ihre Stimmen schmirgelten im Wind und sie knirschten mit den Zähnen.
    Keike erschrak. Auf einer Dünenspitze sah sie Ocke stehen. Sie erkannte ihn an seiner schiefen Statur. Sie nahm die Mädchen an die Hand, blieb stehen. Ocke verharrte auf dem Dünenkopf. Auch Keike rührte sich nicht. In der Ferne hörte sie die Enten schnattern. Sie kamen vom Watt her geflogen. Die Entenschar kam immer näher, zog über ihre Köpfe hinweg. Die Vögel flatterten mit den Flügeln, umkreisten Ocke. Schwarze, wilde Schatten umtobten ihn, zeichneten fliehende Bilder in den Sand. Die Enten sammelten sich über dem Kojenmann. Wie eine Gewitterwolke hingen sie über ihm. Dann stürzten sie sich auf ihn, packten ihn mit ihren breiten Schnäbeln. Sie erhoben sich mit der schweren Last in die Lüfte und flogen zu den Schlickwatten. Dort warfen sie Ocke ab. Das Watt schmatzte und gurgelte, als es sich über ihm geschlossen hatte. Die Enten lachten, dass es noch auf dem Festland zu hören war. Die klügste Ente schnatterte: »Lasst uns tanzen, denn es brechen neue Zeiten für uns an!«
     
    H
     
    Endlich traf das Schiff mit den Steinen und einem Trupp Steinmetze ein. Andreas Hartmann geriet in ein Baufieber, das er nicht mehr stoppen konnte. Sogleich ließ er die Granitblöcke entladen. Die Arbeiter legten Ketten um die Steine und hängten sie an den Haken des Krans. Er beobachtete, wie die Last langsam nach oben gehievt wurde, in der Luft hin und her schwankte, bis sie schließlich mit lautem Krachen auf die Pferdewagen niedergingen. Er war sehr ungeduldig. Das Abladen dauerte zu lang. Er hatte viel weniger Zeit für den Transport eingeplant.
    »Geht das nicht ein bisschen schneller? Macht voran!« Er fuhr zur Baustelle zurück und prüfte jede ankommende Fuhre. In der Zwischenzeit lief er in seine Baracke, warf einen Blick auf den Bauplan, machte einige Notizen, eilte darauf in den Werkzeugschuppen. Sein Blick fiel auf die Mörtelsäcke. Sie waren aufgeschlitzt und mit Wasser verdorben.
    »Zum Teufel! Steinhart das ganze Zeug. Wenn ich den Mistkerl erwische.« Er zählte das Werkzeug durch. Vierundvierzig Kreuzhacken, elf Pickel, neun Vorschlaghammer, zwei Schraubstöcke … Keine neuen Diebstähle. Auch die Kartons mit den Nägeln schienen unangetastet. Er hatte jetzt keine Zeit, vierhundert verschiedene Arten von Nägeln in Hunderten von Päckchen zu überprüfen.
    Die neue Fuhre kam.
    »Nun macht schon! Das Abladen dauert viel zu lang.«
    Wie sollte er mit diesem disziplinlosen Haufen von Männern seinen Turm fertig bauen? Sie hatten zu viel herumgelungert. Der Maurerpolier war ein besonders unangenehmer, streitsüchtiger Mann. Er war schon mehrmals betrunken gewesen. Er hatte weder sich selbst noch seine Leute unter Kontrolle.
    Andreas Hartmann warf seine Mütze zu Boden. Das Steineabladen würde bei diesem Tempo noch Tage in Anspruch nehmen.
    Die Baustelle erwachte zu neuem Leben. Überall hämmerte und klopfte es. Er ließ die Männer nicht aus den Augen. Jeder Granitblock musste exakt eingefügt werden, die Steine ganz dicht neben-und aufeinander sitzen, damit sie sich nicht verschoben. Die Steine wurden mit Holzpflöcken und Mörtel verbunden. Die erste Fundamentlage brauchte viel Zeit. Dummerweise hatte sich einer der Arbeiter auch noch einen Fuß gequetscht. Fast hätte der Stein ihn erschlagen.
    Die weiteren Schichten wuchsen schneller. Die Arbeiter murrten, als er ihnen keine Pause gönnte und gleich den Sockel, auf dem dann der eigentliche Leuchtturm errichtet werden würde, bauen ließ. Andreas Hartmann versprach ihnen nach dem Bau des Sockels eine kleine Prämie und ein Fass Bier. Voran, voran, es

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