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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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rief:
    »Hallo, bitte erschrecken Sie nicht! Ich bin Andreas Hartmann, der Ingenieur. Ich gehe nur spazieren.«
    Keike hörte ihn rufen. Sie ließ ihren Korb fallen. Gleichzeitig rutschte ihr das Messer aus der Hand. Sie ließ Korb und Messer liegen. Eine Kraft zog sie zu ihm, sie schritt durch den Sand, leichtfüßig wie ein kleiner Vogel.
    Er sah sie auf sich zukommen. Er erkannte ihr Gesicht. Keike. Er konnte nicht stehen bleiben. Er fühlte sich wie von einem Magneten angezogen, ohne Möglichkeit, sich dem Sog zu entziehen.
    Komm, lockten Keikes Augen.
    Er setzte einen Schritt vor den anderen, kam ihr immer näher. Er sah ihr in die Augen. Ohne Scheu. Nahm ihre Hand, führte sie zu seinem Mund, küsste sie. Sie duftete nach Kamillenblüten.
    Keike spürte seine Hand, seine Lippen. Sie waren warm und weich. Er zog sie an sich. Sie umarmte ihn. Ihre Körper verschmolzen miteinander. Sie wusste nicht mehr, wo der ihre aufhörte, wo seiner anfing. Der Wind umsäuselte sie. Sie schmiegten sich immer enger aneinander. Sie küssten sich. Keikes Knie wurden weich. Sie sank in die Tiefe. Er hielt sie, küsste sie. Plötzlich löste er sich.
    »Keike, bitte, ich, entschuldigen Sie …«
    Sie legte ihren Zeigefinger auf seinen Mund. Es gab nichts zu sagen, zu erklären. Der Fremde mit dem Flammenkuss war gekommen. Keike setzte ihren Feuerkranz auf und führte ihn in die Dünen.
    Sie breitete ihr Tuch aus. Sie legten sich nieder, windgeschützt, geborgen in der Inselwüste, ihre Körper eng aneinandergeschmiegt. Sie bewegten sich nicht, konnten sich vor Freude über ihr Zusammensein nicht regen. Lagen, ganz still. Keike spürte seine Glut, hörte seinen schnellen Herzschlag. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Kopf auf seine Brust gebettet. Sie lagen, still, bis ihre Hände sich von selbst bewegten, über ihre Körper glitten, bis ihre Lippen sich fanden und nie wieder trennen wollten. Keike hörte das Meer, spürte den Windhauch, seine Hände, seine Küsse, seinen heißen, sehnsüchtigen Körper.
    Ihr Atem ging flach und unruhig, in kurzen Stößen. Sie schnappte nach Luft, noch bevor sie ausgeatmet hatte. Wie von einer Bö gestoßen stöhnte es aus ihr heraus. Seufzen. Ächzen. In ihrer Brust flirrte es, ebenso im Magen. Ein Prickeln, Pritzeln, als würden kleine Kiesel von Wellen umspült. In ihren Ohren rauschte ein Orkan, in ihren Adern brodelte das Meer. Plötzlich eine Woge, die über ihr zusammenschlug, sie durcheinanderwirbelte, in die Tiefe saugte. Sie tauchte ein, ließ sich treiben, umworben, liebkost, wellengestreichelt. Bodenlos schwamm und floss sie im Strudel der Woge, die ihren Körper umspielte, sie mit leidenschaftlichem Drängen auf ihren Gipfel hob, bis sie flutete und schäumte und sie mit einem letzten, gewaltigen, haltlosen Aufbäumen an den Strand spülte und dort liebend bettete. Beglückt und wohlig lag sie am Meeresufer, Arme und Beine von sich gespreizt, wie ein Seestern. Sie strich über sie hinweg, die Welle, sanft jetzt, mit leisem Wispern und zärtlichem Raunen. Sie lag im Sand, hörte das liebevolle Flüstern des Meerschaums, der sie umschmeichelte. Spürte, wie sich ihr Mund zu einem Lächeln formte und in ihr das Verlangen nach der nächsten Flut aufkeimte.
    Er verlor fast die Besinnung bei ihren Berührungen. Ihre Hände streiften über seinen Körper, erkundeten jeden Winkel, auch die verborgensten. Ihre Zärtlichkeiten strömten wie heiße Lava durch ihn hindurch. Er versank in ihrem Duft, in ihrer Wärme. Sie duftete nach Leben, nach Salz und Wind. Ihr Haar fiel in goldenen Wellen herab, kitzelte ihn. Ihre Haut schimmerte wie das Meer bei Vollmond. Er verfolgte mit dem Zeigefinger eine Schweißperle auf ihrer Brust, schleckte sie mit seiner Zunge auf. Sie zuckte. Ihre Augen waren geschlossen. Sie lächelte, genoss die Liebkosungen.
    Sie fielen übereinander her, küssten sich, schoben ihre Zungen ineinander, vergruben sich, bäumten sich auf, ihre Körper eng verschlungen, und liebten sich, bis sie vor Erschöpfung einschliefen, Arm in Arm, wie zwei Gestrandete, die gerettet waren.
     
    H
     
    Andreas Hartmann war vollkommen apathisch. Man musste ihm mehrmals unter die Arme greifen, um sich zu erheben und sein Urteil entgegenzunehmen. Sein Gesicht war zu einer undurchlässigen Maske erstarrt. Er lächelte. Jedoch war dieses Lächeln trügerisch. Er hatte in der Zelle zwei Wärter angegriffen und blutig geschlagen.
     
    Der Richter erhob sich. Er rückte seine Brille zurecht und verlas

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