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Die Insel der Witwen

Die Insel der Witwen

Titel: Die Insel der Witwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Fohl
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mauern. Die Steine mussten sorgfältig ausgewählt werden. Und wenn er Konstruktionsfehler machte, konnten Spannungen auftreten, die zu Rissbildungen führten. Und die Lampe, würde sie weit genug im Meer zu sehen sein? Sie bestand aus dioptrischen und katadioptrischen Glaselementen. Kein Vergleich zu den Blüsen, die mit einer Lampe mit Hohldocht im Glaszylinder brennen und deren Flamme sich im Brennpunkt mehrerer Parabolspiegel befindet. Natürlich wird die Lampe große Strahlkraft haben und meilenweit zu sehen sein. Herrgott! Es war alles bedacht. Zum hundertsten Mal hatte er seine Pläne durchgesehen. Weitere Änderungen würden sich erst mit Fortsetzung der Maurerarbeiten ergeben. Herrgott, er konnte nicht ständig herumsitzen und sich überflüssige Gedanken machen.
    Andreas Hartmann zog die Stiefel an, warf seine dünne Jacke über die Schulter und verließ die Baracke. Er hatte bereits die ganze Insel mehrmals durchstreift. Links herum, rechts herum. Oder querfeldein. Von Norden nach Süden. Von Süden nach Norden. Über die Dünen. Oder die Salzwiesen. Am Meeresufer entlang. Nur ins Watt traute er sich nicht allein.
    Er nahm den Hauptweg, der zur Kirche führte. Er ging ziemlich oft zum Friedhof. Auch durch die Dörfer, durch die der Hauptweg führte, spazierte er häufiger als zuvor. Irgendwann müsste er Keike doch einmal treffen. Bislang hatte er sich nicht getraut, Lorenzen zu fragen, wo sie wohnte. Er müsste es geschickt einfädeln. Ohne dass es auffiele.
    Er betrat den Friedhof. Eine alte Witwe stand vor einem Stein und betete. Schlohweiße Haarsträhnen flatterten im Wind. Sonst war niemand zu sehen. Er las die Inschriften auf den Grabsteinen, schlenderte von diesem zu jenem. Die Grabsteine standen kreuz und quer. Dazwischen weideten Schafe. Sobald er sich ihnen näherte, hopsten sie beiseite. Er watete durch ihren Kot. Da müsste Ordnung hineingebracht werden. Gerade Wege und rechte Winkel. Und Schafe hatten auf einem Friedhof auch nichts zu suchen. Er nahm einen spitzen Stein, ging auf den Hauptweg und kratzte die Umrisse der Kirche in den Sand, legte von dort aus ein rechtwinkliges Netz aus Wegen an, gruppierte die Grabsteine in langen Reihen, indem er kleine Kästchen nebeneinander in den Sand ritzte. Welchen Unsinn trieb er da? Es war die Langeweile. Er warf den Stein beiseite und beschloss, durch die Dünen an die Seeseite zu gehen. Irgendwo, mitten im Sandgebirge, verließ ihn die Lust. Dieses endlose Hin-und Hergestapfe. Vielleicht sollte er etwas schreiben, eine Geschichte. Oder malen, um die Wartezeit zu überbrücken. Was bildete er sich ein? Etwas anderes als Bautagebücher und den einen oder anderen Brief konnte er nicht verfassen. Und was das Malen anging, lagen ihm nur technische Zeichnungen. Er hatte keine literarische oder künstlerische Fantasie. Ein Buch über Leuchttürme, das wäre es. Niemand hatte bislang ein Buch über den Leuchtturmbau geschrieben. Wie es auf den Baustellen zuging, welche Schwierigkeiten zu meistern waren. Er könnte sich ein Konzept überlegen.
    Er setzte sich ins Dünengras. Ein paar Kaninchen hoppelten über den Sand. Links von ihnen lief ein Rebhuhn in ein Heidefeld. Er sah dem Vogel nach, bis sich sein Gefieder mit den Heidebüschen vermengte und nicht mehr von den Pflanzen zu unterscheiden war. In der Ferne erblickte er einen schwarzen Punkt, der sich auf ihn zu bewegte. Er erkannte eine Frau mit einem Korb in der Armbeuge. Sie war schwarz gekleidet. Eine Witwe. Sie schien nicht alt zu sein. Sie hatte einen jugendlichen Gang. Wenn es Keike Tedsen war? Er fantasierte. Dennoch erregte ihn die Vorstellung, dass es seine Krabbenfrau sein könnte. Sie ließ sich Zeit, bückte sich hier und da, um Kräuter oder Halme zu schneiden. In ihm keimte die Furcht auf, sie könnte einen anderen Weg einschlagen. Aber sie schien immer weiter auf ihn zuzugehen. Der Wind trug eine Melodie an sein Ohr. Sie sang ein Lied. Sie schnitt Kräuter und sang. Und kam immer näher. Die Frau blieb stehen, der Gesang verstummte. Sie blickte sich um, als spürte sie seine Gegenwart. Sie wischte sich mit dem Ellenbogen eine Strähne aus dem Gesicht. Sie war zu weit entfernt, als dass er ihr Gesicht hätte erkennen können. Er wusste nicht, was er machen sollte. Er wollte die Frau nicht erschrecken. Sollte er sich leise von dannen schleichen oder sich zu erkennen geben? Er war hin-und hergerissen. Wenn sie es war, wenn es Keike … Er blieb noch eine Weile sitzen. Dann erhob er sich und

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