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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. G. Wells
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schlechtes Essen, schäbige Wohnung, schäbige Kleider, schäbige Laster -, ein Schnitzer - ich wußte es nicht besser -, und auf diese viehische Insel verjagt. Zehn Jahre hier! Wozu das alles, Prendick? Sind wir Seifenblasen, die ein kleines Kind bläst?«
    Es war schwer, diesem irren Gerede beizukommen. »Woran wir jetzt denken müssen«, sagte ich, »ist, wie wir von dieser Insel fortkommen.«
    »Was nützt es, wenn ich fortkomme? Ich bin ein Ausgestoßener. Wo soll ich hin? Für Sie ist das alles ganz schön und gut, Prendick. Der arme alte Moreau! Wir können ihn nicht da liegen lassen ... So, wie die Dinge stehen, werden sie ihm die Knochen abnagen ... Und außerdem, was soll aus dem anständigen Teil des Tiervolks werden?«
    »Nun«, sagte ich, »lassen wir das für morgen. Ich habe gedacht, wir sollten das Buschholz zu einem Scheiterhaufen schichten und seine Leiche - und alles andere verbrennen ... Was aber wird mit dem Tiervolk geschehen?«
    »Ich weiß es nicht. Ich vermute, daß alle, die aus Bestien gemacht sind, früher oder später wahre Esel aus sich machen werden. Wir können die Gesellschaft nicht schlachten. Oder? Das gibt Ihnen wohl Ihre Art von Menschlichkeit ein? Aber sie werden sich ändern. Sie ändern sich sicher.«
    Er redete in dieser Weise unzusammenhängend weiter, bis ich schließlich merkte, wie mir die Geduld riß. »Himmel und Hölle!« rief er über solche Unverschämtheit. »Können Sie denn nicht einsehen, daß ich schlimmer dran bin als Sie?« Und er stand auf und holte den Brandy. »Trinken Sie«, sagte er, als er zurückkam. »Sie auf Logik pochender, bleichgesichtiger Heiliger von ’nem Atheisten, trinken Sie.«
    »Nein«, sagte ich und beobachtete grimmig sein Gesicht unter dem gelben Paraffinlicht, als er sich in sein geschwätziges Elend trank. Ich erinnere mich, daß er mich entsetzlich anwiderte. Er ging zu einer rührseligen Verteidigung des Tiervolks und M’lings über. M’ling, sagte er, sei das einzige Wesen, das sich je etwas aus ihm gemacht habe. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke.
    »Ich mach’ mir den Garaus!« sagte er, kam stolpernd auf die Füße und packte die Brandyflasche. Ich hatte eine plötzliche Intuition: Jetzt wußte ich, was er wollte. »Sie geben der Bestie nichts zu trinken!« rief ich, stand auf und trat ihm entgegen.
    »Bestie!« sagte er. »Sie sind die Bestie. Er trinkt seinen Schnaps wie ein Christ. Gehen Sie mir aus dem Weg, Prendick!«
    »Um Gottes willen«, sagte ich.
    »Gehen Sie ... aus dem Weg!« brüllte er und zog plötzlich den Revolver.
    »Schön«, sagte ich und trat zur Seite. Ich hatte Lust, mich auf ihn zu stürzen, als er die Hand auf den Türgriff legte, aber der Gedanke an meinen lädierten Arm hielt mich zurück. »Sie sind zum Tier geworden. So gehen Sie nur zu Ihresgleichen.«
    Er stieß die Tür auf und stand, mir halb zugewandt, teils im gelben Lampenlicht, teils im bleichen Glanz des Mondes; die Augenhöhlen unter den borstigen Augenbrauen waren wie schwarze Flecken. »Sie sind ein elender Heuchler, Prendick, Sie alter Esel! Sie haben immer Angst und leiden an Einbildungen. Wir stehen auf des Messers Schneide. Ich bin entschlossen, mir morgen den Hals durchzuschneiden. Aber heut lass’ ich’s mir gutgehen!«
    Er wandte sich ab und ging ins Mondlicht hinaus. »M’ling«, rief er. »M’ling, alter Freund!«
    Drei dunkle Geschöpfe kamen im Silberlicht am Rand des fahlen Strandes heran, eines weißbandagiert, die beiden anderen schwarze Flecken, die ihm folgten. Sie standen still und starrten ins Dunkel. Dann sah ich M’lings krumme Schultern, als er um die Ecke des Hauses herumkam.
    »Trinkt«, rief Montgomery. »Trinkt, ihr Bestien! Trinkt und seid Menschen. Verdammich, ich bin der Gescheiteste! Das hat Moreau vergessen. Das ist die letzte Vollendung. Trinkt, sag’ ich euch.« Die Flasche in der Hand schwingend, lief er in einem schnellen Trab nach Westen, und M’ling lief zwischen ihm und den drei undeutlichen Gestalten, die folgten.
    Ich trat an die Tür. Ich sah, wie Montgomery stehenblieb und M’ling einen Schluck puren Brandys gab, und die fünf Gestalten verschmolzen zu einem einzigen verschwommenen Fleck. »Singt«, hörte ich Montgomery rufen, »singt alle zusammen: ›Zum Henker mit dem alten Prendick!‹ ... So ist’s recht. Jetzt noch einmal: ›Zum Henker mit dem alten Prendick.‹«
    Die dunkle Gruppe zerfiel in fünf einzelne Gestalten, die langsam das Band des leuchtenden Strandes

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