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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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rührte sie nicht einmal an. Doch während ich noch in meinem grünen Versteck das Gesicht über diese absonderlichen Gaben verzog, wehte hin und wieder der Geruch von Fisch von euerm Lager herüber, einmal sogar von einem in seinem Fett brutzelnden Reh, und quälte mich.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     



 
     
     
     
     
    Als er merkte, daß ich die Süßigkeiten nicht nahm, versuchte Prospero es mit anderen Dingen. Mangos, Birnen und Granatäpfel, die größten und saftigsten, die er finden konnte, legte er für mich im Schatten der Bäume auf einem Stein aus. Doch Früchte konnte ich selber pflücken, wann immer es mir beliebte. Selbst in meinem Waisenelend war ich nicht bereit, mich so billig zu verkaufen.
    Obwohl ich mich also gleichgültig gab und hundert kleine Omen suchte und fand, tausend wortlose abergläubische Einwände dagegen, die Geschenke deines Vaters anzunehmen, faszinierten mich diese Neuankömmlinge. Ich hatte die dunkle Ahnung, daß ihr vermutlich Wesen wie ich wart – womit die gesamte Menschheit für mich auch nur von zwei auf vier angewachsen war –, aber ganz sicher war ich mir nicht. Während meine Mutter ewig denselben formlosen schwarzen Kittel getragen hatte und ich gar nichts am Leib trug, schient ihr euch ständig umzuziehen, du und dein Vater. Als ich dich das erste Mal sah, kleine Miranda, hattest du ein prächtiges Hofkleid an beziehungsweise was davon noch übrig war; an anderen Tagen ließ dein Vater dich nur mit einem dünnen Hemdchen bekleidet am Rand der Brandung springen, und durch die Gischtspritzer, die du abbekamst, klebte es an deinem kleinen, blutjungen Körper. Und wenn Prospero manchmal seine schwarzen Gewänder ablegte, kamen darunter überraschend buntgemusterte Kniehosen und ein ebensolches Hemd zum Vorschein. Einmal sah ich, wie er sich bis zur Taille entblößte, um einen Graben auszuheben; die Haarbüschel auf seiner Brust waren aschgrau wie sein Bart. Umziehen, umziehen, umziehen: Wie Vögel sich mausern und Schlangen sich häuten, wechseltet ihr eure Hülle mit erstaunlicher Häufigkeit.
    Am Ende wurde mir ein Fisch zum Verhängnis.
    Ausgenommen und über einem heruntergebrannten Feuer gebraten, dann auf ein paar Blätter als Teller gelegt, besaß er eine ganz andere magische Anziehungskraft als die Süßigkeiten oder die Früchte. Ich kauerte im Gebüsch und starrte lange darauf, bis irgendwann alles um mich herum versank und die Welt nur noch aus mir und diesem schwarz- und silberschuppigen Ding mit den glasigen Augen bestand. Ich fühlte, wie meine Nasenlöcher sich weiteten, wie sie sich aufblähten, um gierig den würzigen Geruch einzusaugen.
    Ich schaute mich nach allen Seiten um, doch die Falle war für meinen primitiven Verstand viel zu subtil. Dein Vater ging mit dir in der Ferne am Strand entlang, den Rücken zu mir gekehrt. Du schwirrtest um ihn herum wie ein Kolibri, der immer wieder dieselbe Blume anfliegt. Wenn ihr dort wart, konntet ihr nicht hier sein, dachte ich mir. Also war es ungefährlich, den Fisch zu nehmen.
    Dennoch hatte ich zu tun, meinen inneren Widerstand zu überwinden. Ich verstand ihn zwar nicht, aber irgendwie war mir klar, wenn ich dieses über die Maßen verlockende Geschenk annahm, würde… sich etwas ändern. Merkwürdigerweise dachte ich an das verborgene Tal und den uralten Baum, wo ich seit dem Tod meiner Mutter nur wenige Male gewesen war. Nachdem sie gestorben war, verband sich für mich mit dem Ort, vielleicht weil ich ihn vor ihr geheimgehalten hatte, ein undeutliches Gefühl der Beklommenheit, ganz ähnlich dem, das ich nach dem Mord an der Bache gehabt hatte. Dennoch zog es mich dorthin, wie es mich zu dem vor mir liegenden Fisch zog, und beides erfüllte mich mit etwas, das mir rückblickend als eine Art schuldbewußtes Begehren erscheint.
    Der Gedanke an den hohen alten Baum und das geheime Tal half mir, mich zu entscheiden… aber durchaus nicht richtig. Das Tal hatte mir eigentlich keinen Schaden zugefügt, sagte ich mir – nicht mit Worten, Miranda, nein, meine inneren Selbstgespräche waren mehr wie emotionale Regengüsse, die von gegensätzlichen Winden hierhin und dorthin geweht wurden –, im Gegenteil, es war für mich eine Art Zuflucht geworden und der Quell fremdartiger neuer, oft angenehmer Gefühle. Das Tal hatte mir nicht geschadet, denn konnte ich nicht nach wie vor ungehindert hingehen, wo ich wollte, und tun, wozu ich Lust hatte? Wie also

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