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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sollte ein schlichtes Stück Fisch, auch aus noch so fremder Hand, etwas anderes sein, als was es schien?
    Ich nahm es mit einem blitzschnellen Griff und verzog mich mit hämmerndem Herzen in den Wald.
    Es war natürlich köstlich. Zart und saftig und ohne eine einzige Gräte zwischen Schwanz und Kopf. Wie dein Vater das fertigbrachte – nun ja, er war schließlich ein Zauberer. Eine raffinierte Falle bedarf raffinierter Zauberkunst. Er war zu größeren Proben dieser Kunst fähig, wie ich binnen kurzem erfahren sollte.
    Am nächsten Tag fand ich einen weiteren Fisch auf dem schattigen Stein. Wieder wart ihr beide ein gutes Stück entfernt und deutlich zu sehen. Das zweite Mal fiel es mir wesentlich leichter, ihn zu nehmen.
     
     
    Was ging in dir vor, Miranda, als dein Vater langsam das Netz einholte? Meintest du, daß er dir einen Spielgefährten besorgen wollte? Oder daß er dabei war, dir einen irgendwie menschenartigen, aber dennoch zum Verspeisen und Verdauen bestimmten Appetithappen zu fangen, genau wie er Rehe, Kaninchen und Fische fing? Ging dir auch nur einen Augenblick lang die Tatsache auf, daß er beides tat?
    Nachdem ich mir genug Fischbraten in den Schlund gestopft hatte, fing ich an, mich am Rande des Lagers herumzutreiben, gut sichtbar, aber bereit, jederzeit die Flucht zu ergreifen. Ah, aber dein Vater war schlau. Ich nehme an, ein Mann, der Dämonen beschwören und beherrschen kann, versteht sich auf geduldige Willenslenkung.
    Er begann mich anzuschauen – mehr nicht. Über den halben Strand hinweg betrachtete er mich, ohne sich zu rühren. Ich starrte lange in seine eisblauen Augen und lauerte dabei auf ein Zeichen der Feindseligkeit, bereit, augenblicklich davonzuspringen. Obwohl Prospero mich fesselte, war ich immer noch der Meinung, daß ich von der sicheren Festung meiner Eigenständigkeit aus auf einen Belagerer guckte. Mir war nicht klar, daß er bereits im Innern der Burg war. Während ich früher im Traum die erbitterten Gesichter aus der Vergangenheit meiner Mutter gesehen hatte, wurde ich jetzt im Schlaf von diesem einen Gesicht verfolgt: kalte, wissende Augen, dünne, halb lächelnde Lippen, eine Stirn wie die Felsen an der Steilküste.
    Eines Morgens, als die Sonne erst ein schwacher Schein hinter den östlichen Bergen war, kam er zum Waldrand. Er setzte sich mit dem Rücken zu den Bäumen auf den Boden und wartete. Lautlos wie eine Raupe wagte ich mich näher heran, doch er wußte, daß ich da war.
    Mit einer Ruhe, die darauf abzielte, meine animalischen Ängste zu besänftigen, fing er an, die Hände vor seinem Körper zu bewegen. Gebannt, aber von seinem Rücken daran gehindert, etwas zu erkennen, schlich ich vorsichtig am Waldessaum entlang, bis ich sehen konnte, was er machte. Mit Wasser aus einer Schale neben sich befeuchtete er die feinkörnige Erde und begann vor meinen Augen, daraus kleine, runde Formen zu bilden.
    Ach, die Hände deines Vaters, seine langen, geschickten Finger! Ich sah mit offenem Munde zu, wie sie drückten und klopften, glätteten und formten, und das mit einer Kunstfertigkeit, die mir unbegreiflich war, so sehr unterschied sie sich von dem hektischen Gefingere meiner Mutter. Noch Jahre später bewunderte ich die Hände deines Vaters; als ich an jenem Tage zum erstenmal ihr flinkes, sicheres Wirken aus der Nähe sah, war ich völlig verzaubert.
    Er griff sich einen dünnen Stock und brach ihn in Stücke. Beim ersten Krachen schreckte ich zurück, aber Prospero blickte nicht auf. Ich hielt tapfer die Stellung, während er seine Lehmwulste um die Stöckchen legte, und seine Finger arbeiteten dabei so rasch und elegant, daß ich lange sie anschaute statt der Dinge, die sie gestalteten… doch irgendwann konnte ich nicht mehr übersehen, was da Gestalt gewann. Er hatte eine kleine Puppe gemacht, ein Männchen, das ausgestreckt bequem in seine Hand paßte. Er legte es ab und machte noch eines, ein wenig kleiner. Als das getan war, nahm dein Vater ein paar Tropfen Wasser aus der Schale und bespritzte die beiden Figuren mit peitschenartigen Fingerbewegungen, dann faßte er in seinen Umhang. Als er die Hand wieder hervorzog und über den Köpfen der Püppchen ausschüttelte, rieselte Pulver von leuchtend gelber und blauer Farbe herab. Sonderbar war, selbst für mein ungeschultes Auge, daß das ganze blaue Pulver am Kopf der einen Figur haften blieb, das gelbe aber an dem der kleineren.
    Nun nahm dein Vater die beiden in die Hand, immer noch ohne die Augen zu

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