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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den Wundern geblendet, die dein Vater in seinem neuen Haus auspackte, seinem Schloß in der Wildnis. Er hatte eine erstaunliche Menge an Dingen aus Mailand mitgebracht – ich vermute, das hattet ihr dem untertänigen Gonzalo zu verdanken –, doch er hatte sie unter Verschluß gehalten und mir nur gelegentlich gestattet, einen Blick in eines seiner Bücher zu werfen oder über einen der feineren Stoffe zu streichen, wenn er sich bewogen fühlte, mich zu belohnen… was selten vorkam. Dies machte mich natürlich nur noch hungriger nach seinen Geheimnissen, noch unzufriedener mit meinem Zustand, wobei mir nie in den Sinn kam, daß ich vielleicht gar nicht auf Prosperos Großzügigkeit angewiesen war, wenn ich mich höher entwickeln wollte. Ich lugte aus den Augenwinkeln auf die Schätze deines Vaters wie ein Vogel, der einem größeren Vogel den Wurm neidet – wie jeder Ausgeschlossene beobachtete ich die beneideten Glücklichen scharf, um sie besser nachahmen zu können. Das wahrhaft Überraschende an der Flasche portugiesischen Weines war nicht ihr Inhalt, sondern daß ich ihr Vorhandensein nicht einmal geahnt hatte.
    Jetzt aber, als ob der feste Zaun um das Anwesen ihn sicherer gemacht hätte, holte er viele der versteckt gehaltenen Kostbarkeiten hervor und schmückte den neuen Wohnsitz mit ihnen. Bücher! Wie er solche Mengen in euerm armseligen Boot verstauen konnte, ist mir ein Rätsel, aber ich trug sie in großen Armladungen den Hügel hinauf. Das war allerdings auch alles, was ich von ihnen zu sehen bekam, denn sie verschwanden sofort in seinem »Laboratorium«, wie er es nannte, und ein großes eisernes Schloß, ein weiteres Mitbringsel aus Mailand, wurde am Türgriff angebracht. Noch zahllose andere Merkwürdigkeiten schleppte ich für ihn: Truhen voll dünner Kristallgefäße unterschiedlicher Größe – was wußte ich schon von Glas? –, Schneide- und Hackwerkzeuge in vielen verschiedenen Formen, Krüge voll seltsamer Flüssigkeiten, trüber wie klarer, viele erst nach seiner Ankunft auf der Insel destilliert, sogar einen menschlichen Schädel. Er mußte mir sagen, was das für ein Ding war, denn ich kannte bis dahin nur die Schädelknochen von Tieren. Prospero sagte, es sei das originale Haupt des Orpheus, was auch immer das zu bedeuten hatte, und er pflegte witzelnd zu bemerken, daß es ihm des Nachts vorsang.
    Was er sonst noch in seinen tiefen Taschen zum Haus hinauftrug, weiß ich nicht, aber ich bin mir so sicher wie meines Atems und meines Herzschlags, daß er seine wertvollsten Stücke nicht meinen willigen, aber mitunter plumpen Händen anvertraute. In den letzten Monaten der Bautätigkeit, als dein Vater die Zimmermannsarbeiten vollständig an mich abgetreten hatte, hatte er sich einen Stab geschnitzt, einen Spazierstock, meinte ich, seltsam geschmückt mit Bändern, Federn und glitzernden, scharfkantigen Glasscherben. Den trug er stets selbst – ich durfte ihn nicht einmal anfassen –, und als alles an Ort und Stelle war, wedelte er eine ganze Weile damit in der offenen Tür hin und her und murmelte etwas, die Augen offen, aber auf nichts gerichtet. Dann schloß er die Tür hinter sich und kam den restlichen Tag nicht mehr aus seinem Laboratorium heraus.
    Er hatte mir mehrere Aufgaben zu tun gegeben, und ich gehorchte mit Freuden, denn an diesem Nachmittag hatte ich deine Gesellschaft ohne die Aufsicht deines Vaters. Als ich mit dem Lastentragen fertig war, führte ich dich wieder den Hügel hinunter, ein Regenpfeifernest anschauen, das ich gefunden hatte. Wir durchstachen die Schale eines Eis und schlürften den kalten, salzigen Inhalt. Ich sagte dir in meiner noch unbeholfenen Ausdrucksweise, daß ich froh und glücklich war, dein Freund zu sein.
    Du lächeltest, dann fülltest du die leere Eierschale mit Sand und ließt ihn durch das Loch, das wir gebohrt hatten, wieder hinausrieseln.
     
     
    Prospero wies mich aus dem Haus. Das heißt, eigentlich hatte ich nie ganz einziehen dürfen. Nach jener ersten Nacht auf dem Fußboden neben dem Feuer erhielt ich meine eigene kleine Stube – einen Schuppen, um es deutlich zu sagen – an der äußersten Westseite des Hauses. Sie war nicht kleiner als die Hütte meiner Kindheit, und so machte mir ihre bescheidene Größe nichts aus, doch sie war weit von dem Zimmer entfernt, in dem dein Vater schlief, und noch weiter entfernt von dir, Miranda. Das schmerzte mich.
    Du kennst die Sitten unseres Volkes nicht, erklärte er mir. Seine blauen Augen

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