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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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einen solchen Anlaß beiseite gelegt. Denn heute abend wollen wir unser neues Zuhause feiern.
    Genauso überraschend tischte Prospero Trinkschalen auf. In deine goß er nur einen Schluck, meine und seine aber füllte er bis zum Rand.
    Trink, kleiner Wilder. Wir haben an einem Ort, wo es so etwas noch nie gegeben hat, ein richtiges Haus gebaut.
    Ich war erfreut und geehrt, aber ich empfand auch ein leises Unbehagen. Hatte ich denn mit meiner Mutter etwa nicht in einem Haus gewohnt? War es zu bescheiden, um als menschliche Wohnstatt zu gelten? Und war ich immer noch wenig mehr als ein Tier, weil ich ohne Prospero nie daran gedacht hätte, ein herrschaftliches Haus zu bauen?
    Dennoch hob ich die Schale und ließ mir die blutfarbene Flüssigkeit durch die Kehle strömen. Dann hustete ich sie so jäh und heftig wieder aus, daß ich fürchtete, ich würde mir das Leben aus dem Leibe spucken. Sie hatte nichts von der Süße, die ich von einer derart hochgeschätzten Belohnung erwartete, sondern war herb und sauer.
    Dein Vater lachte. Du auch, nachdem du sicher warst, daß ich nicht daran erstickte.
    Du darfst den Trunk nicht hinunterkippen, als ob er Flußwasser wäre. Er ist kostbar, und du bist kostbare Dinge nicht gewohnt. Kleine Schlucke, So. Und er machte es mir mit seiner Schale vor. Auch du trankst etwas, Miranda, und warfst Prospero daraufhin einen verdutzten Blick zu.
    Es ist bloß Wein, Vater, beschwertest du dich. Ach, wie es mich ins Herz stach, daß so etwas erschreckend Starkes für dich gar nichts Besonderes war. Du hattest seit deinen frühen Kindertagen Wein getrunken.
    Aber er ist anders als sonst, älter und besser und mehr als das, lautete seine Antwort. Und wir werden ihn nicht mit Wasser mischen. Heute abend nicht!
    Und in der Tat tranken wir reichlich, obwohl es eine Weile dauerte, bis ich ihn durch meine kratzende Kehle hinunterbrachte, ohne das Gesicht zu verziehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, warum richtige Menschen ein solches Zeug tranken, aber ich wollte mich nicht von dir beschämen lassen. Außerdem war es ein Geschenk deines Vaters an mich, etwas Seltenes, etwas, das gebührend gewürdigt werden wollte.
     
     
    Ich habe dir erzählt, daß meine Mutter zeitweise vor sich hinsang, wortlose, traurige Weisen, die ich weder verstehen noch überhören konnte. Als in jener Nacht der Wein in meinem Kopf brodelte, klangen mir auf einmal Fetzen ihrer Lieder im Ohr, als ob sie zurückgekehrt wäre und hinter meiner Schulter stünde. Das Gefühl hätte mich eigentlich ängstigen müssen, doch das tat es nicht. Die Nacht wurde eigentümlich warm und wohlig. Ich hörte die Stimme meiner Mutter im Pfeifen des Windes durch das Dachstroh und im Murmeln des Gesprächs zwischen dir und deinem Vater.
    Ich trank mehr Wein. Wir leerten die Flasche bis auf den letzten Tropfen und aßen Schweinebraten und Kochbananen aus der dampfenden Grube. Ich hielt mir die versengten Ohren unserer Beute an den Kopf und jagte dich unter beiderseitigem Quietschen und Gackern über den Hügel. Schwindlig von der Anstrengung blickte ich später zu dem von Lichtpünktchen flimmernden Himmel auf, der sich genau um die Stelle drehte, wo ich saß, als ob sämtliche Sterne mich anschauten… mich, den kleinen Wilden, der ein Haus gebaut hatte, der mit richtigen Menschen zusammenlebte, der einen Namen hatte!
    Ich stand schwankend auf und folgte dir und deinem Vater den Hang hinunter zum Strand. Prospero hielt eine brennende Fackel, die vor mir hertanzte wie ein Glühwürmchen. Die Geräusche des nächtlichen Waldes waren laut, und die Lieder meiner Mutter summten und raunten mir in den Ohren. Wir traten an den Meeresrand und beobachteten, wie der mondweiße Schaum über den Sand glitt. Ich fühlte mich von Kraft erfüllt, von etwas, das alt wie die Gezeiten war und doch unauflösbar ein Teil von mir. Ich hörte meine Mutter singen, doch gleichzeitig hörte ich meinen eigenen Namen, dieses Etwas, das ich bekommen hatte und das jetzt… ich war.
    Ka-li-ban! sang ich. Du drehtest dich zu mir um, Miranda. Deine Augen weiteten sich vor Verwunderung und Belustigung, doch du lachtest nicht. Auch dein Vater lachte nicht. Er verschränkte die Arme vor der Brust, während ich ein paar Schritte hinaus in die zurückweichenden Wellen machte.
    Ban! Ban! Kali-kali-ban! Ich erhob die Stimme und hielt suchend Ausschau nach dem Mond, der auch nach dem Tod meiner Mutter mein Begleiter gewesen war, doch ich konnte ihn nicht finden. Ich sang weiter zu

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