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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Genie.
    Zuerst bauten wir den Zaun. Ich frage mich heute, was genau deinen Vater dazu veranlaßte, das Gelände einzufrieden, bevor überhaupt das erste Pfostenloch des Hauses gegraben war. Eine vage, quälende Erinnerung daran, wie seine bestochenen Wachen ihn mitten in der Nacht holen kamen? Oder eine weniger konkrete Furcht, wie sie einen beschleicht, wenn man allein irgendwo in der Wildnis ist? Auf jeden Fall machten wir den Zaun stark und hoch und spitzten die Pfosten oben an, daß sie wie mein alter Fischspeer aussahen.
    Als nächstes bauten wir das eigentliche Haus, ein großes Rechteck aus behauenen Stämmen um einen steinernen Kamin mit Schornstein – Wunder über Wunder! Als Prospero im Laufe der Wochen sah, daß ich meine Zimmermannslektionen gut gelernt hatte, überwachte er mich weniger und fing wieder mit seinem Umherschweifen an. Oft nahm er dich mit und setzte dabei den Unterricht in Sprache, Geschichte und Naturkunde fort, den ich eine Zeitlang auch genossen hatte… bis er diese neue und anscheinend wichtigere Aufgabe für mich fand.
    Das Gefühl, in einer Familie zu sein, war nicht gänzlich verschwunden. An manchen Tagen setzte sich dein Vater in meine Nähe, behaute vielleicht mit einer steinernen Dechsel ein schwieriges, aber wichtiges Detail, eine Torangel zum Beispiel, oder flocht aus den Wedeln der hohen Strandpalmen einen Fensterschirm. Zu solchen Zeiten halfst du mir, indem du etwa einen Pfosten gerade hieltest, während ich das Loch darum mit Lehm ausfüllte, oder ein Brett, das ich glatt durchsägen wollte, am Wegrutschen hindertest. Manchmal trugst du sogar gegen meinen zaghaften Protest – ich wollte auf gar keinen Fall als Drückeberger erscheinen! – einige der verschnürten Holzbündel von unten, wo ich sie zugesägt hatte, den Hang hinauf. Auch du wuchst heran, Miranda. Es konnte mir nicht unbemerkt bleiben, daß deine Beine länger wurden; es konnte mich nicht gänzlich ungerührt lassen, wie du dich unter deiner weichen braunen Haut ausrundetest. Prospero sagte selten etwas, doch während seine Hände sich bei seinen Betätigungen geschickt hin- und herbewegten wie nestbauende Vögel, beobachteten uns seine Augen immer.
    Ein volles Jahr lang arbeitete ich an dem Haus, plazierte jeden Balken, verkeilte jede Verbindung mit meinen eigenen Händen. Und während ich voll Stolz Prosperos Zeichnung im Sand dort auf dem Hügel Wirklichkeit werden sah, fühlte ich, wie auch ich größer wurde, wie ich heranwuchs. Zu einem Mann, dachte ich. Zu einem Sohn, wagte ich manchmal zu hoffen.
    Als wir den letzten Rest des Daches gedeckt hatten, feierten wir am Abend ein Fest. Seit dem Tage, an dem ich dich und deinen Vater von meinem Tal fortgeführt hatte, waren zwölf Monde voll geworden und wieder geschwunden, und der dreizehnte war bereits auf die Hälfte abgemagert. Jetzt war das Haus fertig. Ich erkannte damals nicht, wieviel größer als eigentlich nötig wir es gebaut hatten, auch nicht, wieviel schneller die Arbeit gegangen wäre, wenn Prospero weiter mitgeholfen hätte. Ich wußte nur, daß ich etwas getan hatte, das mich stolz machte, und daß dein Vater damit zufrieden war.
    Wie um sein Versäumnis wiedergutzumachen – ein Versäumnis, dessen ich mir gar nicht bewußt war –, hatte dein Vater ein Schwein gefangen und getötet. Für mein Gefühl mußte es eines der Ferkel der ermordeten Bache sein, und als ich sah, wie er es anschleifte, überkam mich im ersten Moment eine abergläubische Panik, doch dann ließ ich mich von den soliden Wänden, die wir errichtet hatten, und von der ungewöhnlich guten Laune deines Vaters beruhigen. Ich half ihm, eine Grube auszuheben, dann schaufelten wir die Glut vom Feuer hinein, legten das in Bananenblätter eingewickelte Fleisch darauf und deckten es zu.
    Komm her, Kaliban, sagte er, als das getan war. Du auch, Miranda.
    Er gebrauchte meinen Namen so selten, daß mich wieder die Furcht anflog. Hatte er irgendwie herausbekommen, was mit der Mutter des da in der Grube qualmenden Tieres geschehen war? Sollte ich für das Verbrechen bestraft werden, das ich begangen hatte, das Verbrechen, das mich, wiewohl unverstanden, seit langem plagte?
    Statt dessen präsentierte er auf einmal eine Flasche, verkorkt und mit Blei verkapselt. Das war etwas, das ich vorher noch nicht gesehen hatte, obgleich ich bei jeder sich bietenden Gelegenheit seine ganzen Zivilisationsgüter neugierig durchstöbert hatte.
    Sie ist aus Portugal, erklärte er. Ich habe sie für

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