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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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oder jene heilkräftige Substanz von seinem Tisch zu bringen oder das Feuer zu schüren oder zu dämpfen, bis er schließlich kurz vor Mittag in einen tiefen Schlaf fiel.
    Höre mich an! Ich lege dir dies zu meiner Entlastung vor, Miranda: Welche Verbrechen du mir auch vorwerfen magst, ich habe dich nicht gedrängt, das Haus zu verlassen. Und wenn deine Liebe zu deinem Vater so vollkommen war, wie du immer angabst, warum bliebst du dann nicht geduldig an seinem Krankenbett sitzen wie ein folgsames Kind? Die Antwort lautet wohl, daß du seiner tyrannischen Launen beinahe so überdrüssig warst wie ich, und das mit viel weniger Grund. Du hattest gesehen, daß seine Krankheit trotz seiner ganzen Klagen keine irdische Ursache zu haben schien, und konntest es kaum erwarten, ein Weilchen Freiheit an der frischen Luft zu genießen.
    Wie wenig Standhaftigkeit du doch besaßt, die du nicht einen Bruchteil meiner Leiden gekostet hattest! Einen einzigen Vormittag lang seine übellaunigen Befehle erdulden zu müssen, reichte schon aus, um dich zu vertreiben.
     
     
    Komm mit mir auf einen Gang, Kaliban, sagtest du. Ich sehne mich nach Luft und Sonne, aber ich fürchte mich vor Schlangen.
    Du, die du einst barfuß durchs Gras liefst! Konntest du nicht einfach sagen, daß du meine Gesellschaft wünschtest? Oder hattest du wirklich Angst? Warst du tatsächlich eine ganz Andere geworden, eine eingebildete Dame, die in den dürftigen Verhältnissen einer wilden Insel ihre Allüren pflegte?
    Doch das sind heute meine Gedanken. Damals und dort konnte ich nur vor Wonne beben, daß du dasselbe dachtest wie ich. Du wolltest weg von deinem Vater, und du wolltest mich an deiner Seite haben. Vielleicht fingst du ja an, ähnlich zu empfinden wie ich! Dann würdest du wieder meine Kameradin und Freundin sein, und die immer schlimmer werdende Einsamkeit würde ein Ende nehmen.
    Als wir in der hellen Sonne den Hang hinuntergingen, berührte meine Flanke deine. Oh, wenn man liebt, Miranda, was für ein Reichtum an Gefühl entspringt aus solchen Kleinigkeiten! In dem Augenblick fühlte ich mich in meinen geheimsten Hoffnungen bestätigt, unserer unausgesprochenen Nähe versichert.
    Der Fuß des Hügels war dicht bewaldet, und eine Zeitlang schritten wir durch grünes Dunkel mit vereinzelten Lichtflecken, spärlich wie die Tropfen eines Sommerregens. Während ich beobachtete, wie die nadelfeinen Strahlen gleich zärtlichen Liebkosungen über dein Haar strichen, fiel mir auf, daß du inzwischen genauso groß geworden warst wie ich, vielleicht sogar ein klein wenig größer. Doch ich war in anderer Hinsicht gewachsen: Meine Arme waren fast so dick wie deine schlanken Beine, und ein dünner Pelz dunkler Haare war mir im Gesicht und am Leib gesprossen. Ich hoffte inständig – ach, Miranda, wie uns die Torheit doch gängelt! –, einen genauso langen und imposanten Bart zu bekommen wie dein Vater. Er war der einzige Mann, den ich kannte. Ich war zu unbeholfener Nachahmung verdammt, so wie sich meine Herzenspein noch heute in seiner Muttersprache Luft macht.
    Und während ich in der Betrachtung des wunderbaren Unterschieds unserer Körper versunken war, ohne ihn zu verstehen, nahmst du meine Hand. Durch diese schlichte Handlung, mit welcher Absicht auch immer begangen, verurteiltest du uns alle zu hundertfachem Leid und Verderben. Seither stürzt unser Leben mit der Unerbittlichkeit eines Felsens, der auf einem Berggipfel angestupst und ins Rollen gebracht wurde, auf diese Stunde, diese Situation hier zu.
    Deine Hand schloß sich um meine, kühl und einladend. Ich war wie gelähmt, denn außer einem zufälligen Streifen beim Vorübergehen hattest du mich schon lange nicht mehr berührt. Jahrelang hatte ich gewartet wie ein hungriger Bettler vor einem viel größeren Haus als dem, das ich für deinen Vater gebaut hatte, größer, als je eines aus so rohen Stoffen wie Holz und Stein gebaut worden ist – und jetzt hattest du mir auf einmal die Tür geöffnet. Jedenfalls schien es so. Wie konnte ich dir das jemals vergelten? Wie konnte ich dir deutlich machen, was deine Nähe, deine Freundlichkeit, deine berückende Schönheit mir bedeuteten? Ich wußte nur ein Geschenk, das deiner wert war.
    Miranda, sagte ich mühsam, denn meine Zunge war plötzlich so schwer, daß ich kaum ein Wort herausbrachte. Ich… ich möchte dir etwas zeigen.
    Du sahst mich an, aber ließt meine Hand nicht los. Deine Augen funkelten vor Vergnügen über unser verschworenes

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