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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Auge gierte jetzt genauso nach dir wie mein Herz.
    Wir gingen manchmal zusammen spazieren und unterhielten uns oft, obwohl meine Pflichten ebenso wie deine Erziehung und deine eigenen Arbeiten – die mehr und mehr in der Anfertigung und Ausbesserung deiner Garderobe bestanden – uns die meisten Tage voneinander fernhielten. Du gingst mittlerweile so korrekt und sogar vornehm gekleidet umher, als lebtest du am luxuriösen Mailänder Hof. Daß dein Vater in dem Augenblick, als er in die Verbannung geschickt wurde, nichts Besseres zu tun hatte, als seinem halben Mitverschwörer Gonzalo feine Stoffe abzuhandeln, beweist mir nur, was zivilisierte Menschen für abstruse Wichtigkeiten haben. Auf jeden Fall übernahmst du es als dir geziemende Aufgabe, Kleidungsstücke für dich zu schneidern und die deines Vaters instand zu setzen. Diese Kleidungsstücke aber, angeregt von den Abbildungen in der Bibliothek deines Vaters, waren für mein ungeschultes Auge überspannt und unzweckmäßig. Selbst wenn du durch den tiefen Wald gingst, trugst du nunmehr Kleider, die eher zum Leben in einem Haus voller Diener paßten. Wie Prospero ein solches Haus nach Kräften nachgebaut hatte, wenngleich nur mit einem einzigen widerwilligen Dienstmann unter sich, so hattest du dir anscheinend vorgenommen, die Rustikalität des Insellebens abzuschütteln und sie durch eine lachhaft falsche höfische Fassade zu ersetzen.
    Doch obwohl ich das mit erstaunlicher Klarheit erkannte, konnte ich mich nicht dazu bringen, dich zu verspotten. Zum einen wußte ich, daß du es hauptsächlich deinem Vater zuliebe tatest, auch wenn dich die Schönheit der Stoffe entzückte und dir die Fertigungsarbeit angenehm war. Für mich aber war es das Wissen um das, was sich unter den Hüllen verbarg, das mir deine bekleidete Gestalt in zuvor ungekannter Weise zu einer Tortur machte. Jeder Blick auf dich erinnerte mich jetzt an deinen unverhüllten Naturzustand. Der Schwung deiner Hüften oder die Wölbung deiner Hinterpartie, selbst unter schweren Gewändern, nahm mir fast den Atem. Die Linie deines langen Halses, die sanfte Schwellung der honigfarbenen Brüste über deinem Mieder, dies alles erschien mir als deutliche Einladung – aber wozu konnte ich mir nicht erklären.
    Überdies wünschte ich mir in meiner Verblendung, du könntest irgendwie in gleicher Weise an mir Gefallen finden wie ich an dir. Ich unternahm sogar unbeholfene Versuche, darum zu beten, denn darin wie auch in anderen Dingen wollte ich euch nacheifern, die ihr mir ja so hoch überlegen wart. Ich sah deinem Vater durchaus nicht ähnlich, aber du auch nicht, und genausowenig sah ich meiner Mutter ähnlich, einmal abgesehen davon, daß ich in gleicher Weise ihre dunkle Färbung hatte wie du die helle Haut deines Vaters. Ich war in den fünf Jahren seit deiner und deines Vaters Ankunft sehr gewachsen und hatte mittlerweile meine Erwachsenengröße erreicht, auch wenn ich im Brustkorb und in den Armen noch ein wenig schmaler war als heute – die Last der Verstoßenheit zu tragen hat mich möglicherweise stärker und breiter gemacht. Ich wußte nicht, ob ich schön oder häßlich war, sondern konnte nur hoffen, daß du mich erfreulich anzusehen fandest. Ich hatte keine Ahnung, was Schönheit war, höchstens insofern, als mir klar war, daß ich dich lieber ansah als irgend etwas anderes unter dem Himmel.
    Meine Besessenheit von dir trieb mich an den Rand des Wahnsinns. Ich schluckte jede Beleidigung hinunter, die dein Vater mir zufügte, nahm sogar die gelegentlichen Stiche oder leichten Streiche mit seinem Spazierstock in Kauf, alles nur deshalb, weil ich es, allen Schmerzen zum Trotz, unendlich höher schätzte, in deiner Nähe zu sein als sonst irgendwo.
     
     
    Dann kam ein Tag, der wie viele andere war, nur in einer Hinsicht nicht: Prospero war krank. Ob vom Einatmen der bei seiner Arbeit entstehenden schädlichen Dämpfe oder von einem anderen verderblichen Einfluß, weiß ich nicht. Die Arbeit, die seine größte Freude gewesen war, machte ihm inzwischen nur noch Kummer. Ich glaube, er hatte endlich begriffen, daß er die magischen Mittel nicht entdecken konnte, um an den Thronräubern Rache zu nehmen oder auch nur seiner Verbannung zu entfliehen. Vielleicht war es also die Verzweiflung, die ihn krank machte. Wie dem auch sei, dein Vater legte sich wieder ins Bett, beklagte sich bitterlich über seine Schmerzen und Ausflüsse und hielt uns den ganzen Morgen mit Anweisungen auf Trab, ihm diese

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