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Die Insel des Magiers

Die Insel des Magiers

Titel: Die Insel des Magiers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Geschirr, schleifte ich mich in den Wald, legte mir ein paar Blätter auf, die ich taumelnd abzupfte, und verlor das Bewußtsein.
    Irgendwann am folgenden Tag kamst du mit Wasser zu mir, Miranda. Ich erinnere mich an eine Unterbrechung in der Dunkelheit, während der ich dich roch und etwas Kühles an den Lippen spürte. In meinen Fieberträumen dachte ich, du wärst gekommen, weil du um Vergebung bitten wolltest, und decktest mich mit Zärtlichkeiten zu, doch als ich das nächste Mal erwachte, war ich wieder allein in meinem blutigen Unterschlupf im Dickicht. Die Albträume, die Schmerzen waren schlimmer als damals nach dem Angriff der Bache.
     
     
    Ja, rücke nur ängstlich ab von mir auf deinem weichen Bett, Miranda, denn mein Zorn ist immer noch weißglühend! Siehst du diese Hand? Ja, sie ist stark, stark genug, um dich im Nu zu erledigen, aber die Finger sind verbogen, krumm. Mag sein, daß ich niemals schön war, aber wie die Natur oder dein Gott mich ursprünglich schuf, war ich auf jeden Fall nicht verkrüppelt.
    Tagelang konnte ich nicht gehen, und was mich am Leben hielt, waren allein kleine Mitbringsel, die du für mich vom Tisch deines Vaters stahlst. Aber ich konnte keine Dankbarkeit empfinden. Wer hatte mir das eingebrockt? Wer hatte meine Unschuld zu ihrem eigenen Vorteil mit Füßen getreten?
    Während ich langsam genas, scherte sich dein Vater nicht um die Verletzungen, die er seinem Diener zugefügt hatte, dem Diener, den er einmal wie einen Sohn behandelt hatte. Frischer Rauch quoll aus dem Schornstein des Hauses, und eine Kerze brannte jede Nacht fast bis zum Morgengrauen in seinem Fenster.
    Nachdem ein Mond seinen Kreis durchlaufen hatte, war ich imstande, umherzuhumpeln und mich selbst nach Eßbarem umzuschauen, denn ich verschmähte es, noch weiter milde Gaben von dir anzunehmen, meine verräterische Miranda. Ich hielt mich vom Haus fern, trieb mich aber wie ein Gespenst in seiner Umgebung herum. Eines Tages erblickte ich von meinem Versteck aus etwas Merkwürdiges: Gefolgt von dir mit einem Sack auf der Schulter brach dein Vater zu einem Gang auf, gekleidet in seine prächtigsten schwarzsilbernen Gewänder, dazu den Stab in der Hand, der unlängst erst meinem Fleisch so übel mitgespielt hatte.
    Die Zweierprozession – eigentlich waren wir drei, denn ich schlich im Schutz der Bäume hinterdrein, eine schattenhafte bucklige Gestalt mit schlecht verheilten Knochen und steifen Gliedern – bewegte sich einen Hang hinunter durch den Wald und von dort wieder bergan. Es wunderte mich nicht, daß das von Dornen abgeschirmte Tal das Ziel war. Aber natürlich war es gar nicht mehr abgeschirmt, und Prospero marschierte durch die freigebrannte Gasse wie ein Eroberer.
    Er begab sich ohne Zögern zu dem Baum im Talgrund; du hingst ein Stück zurück, deutlich von Widerstreben erfüllt, dich der Stelle noch einmal zu nähern. Aus der Ferne konnte ich nicht alles hören, was geschah, aber ich sah, daß dein Vater aufblickend zu dem Baum redete und den Antworten lauschte, die er erhielt. Nach einer Weile baute er einen Ring aus Steinen und entzündete darin ein Feuer, dann setzte er sich nieder und gebot dir, desgleichen zu tun. Aus Nachmittag wurde Abend, und als der erste Stern am Himmel erschien, stand er wieder auf und rief, du mögest ihm seine Bücher bringen.
    Lange rezitierte er, wobei er langsam die Seiten seiner Wälzer umblätterte und nur innehielt, um seinen Stab zu heben und unsichtbare Gestalten in die Luft zu zeichnen. Seine Stimme wurde lauter, beinahe triumphierend. Der Baum erschauerte, wie von einem starken Wind geschüttelt, doch kein anderer Baum im Tal bewegte sich. Meine Ohren begannen zu schmerzen, wie wenn ich im Meer zu tief tauchte. Und auf einmal gab es einen Knall lauter als der Donner, und die uralte Fichte zerbarst in tausend Stücke.
    Ein mächtiger Funkenstoß erhob sich aus dem zerschmetterten Baum und wirbelte durch die Luft, so daß ich schon dachte, die Wespen in ihrem Nest hätten Feuer gefangen und flögen sterbend im Kreis. Die Funken erwuchsen zu einem Turm aus flackerndem Licht, der in den jetzt durch das kleine Tal brausenden Winden schwankte, doch obschon ich mich ängstlich zusammenduckte und du dir die Augen zuhieltest, breitete dein Vater weit die Arme aus und schrie.
    Ich nenne dich und binde dich, gefallener Ariel! Unter Salomos Siegel schuldest du mir Gehorsam!
    Die Funkensäule strahlte einen Moment lang auf und weitete sich, dann sank sie in sich

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