Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel des Mondes

Die Insel des Mondes

Titel: Die Insel des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
Vom Netzwerk:
Edmond.«
    Noria wandte sich ab und lief von der nackten Klippe zurück zum Wald.
    Paula und die Dorfvorsteherin sahen sich überrascht an, dann folgten sie ihr schweigend.
    Edmond, bis zu ihrem Ende war er in ihrem Kopf gewe sen. Nicht Florence, nicht Gott. Es war schwer, sich an die sem freundlichen, sonnendurchwärmten Tag vorzustellen, wie ihre Großmutter sich gefühlt haben musste, in dieser Nacht im August vor über zwanzig Jahren, gejagt von einem ganzen Dorf. Was war in ihr vorgegangen während des schwerelosen Fluges durch die Luft bis zu dem gnadenlosen Aufprall auf das Wasser? Paula schluckte und hoffte, dass ihre Großmutter sofort tot gewesen war.
    Sie fühlte eine Art von Trauer, die sie vorher noch nie gespürt hatte. Bisher war ihre Mathilde eine interessante Gestalt der Familiengeschichte gewesen, eine Ikone im Kampf gegen ihre Mutter und gegen ihren Mann. Auf ihren Duftpfaden zu wandeln war etwas ganz anderes, als hier zu sein, ihr verfallenes Haus zu sehen und zu erfahren, wie grauenvoll sie gestorben war. Schon beim Lesen des Briefes hatte sich ihre Großmutter von einer Ikone in einen Menschen verwandelt, und jetzt erfüllte es Paula mit Trauer, dass nie jemand um sie geweint hatte. Plötzlich erschien Paula ihr ganzes Vorhaben so sinnlos. Mathildes Pläne für ein Parfüm, das die Menschen bewegen und Edmond den Ruhm bringen sollte – für was? Niemanden interessierte das heute noch, außer ihr. Sollte sie nicht lieber die Toten ruhen lassen und endlich ein ganz eigenes Leben beginnen, bevor auch sie tot in der Erde lag?
    Paula sah sich nach Noria um, die sie jedoch nirgends entdecken konnte, und stolperte deshalb über eine Felsspalte voller Christusdorn. Die rosa Blüten leuchteten in der Sonne, und während sie sich aufrappelte, wurde ihr klar, was für unsinnige Überlegungen das waren! Das Rezeptbuch ihrer Großmutter hatte ihr die Kraft und einen Sinn gegeben, weiterzuleben, als sie in ihrem Leben keinen mehr entdecken konnte, und jetzt war es an ihr, daraus etwas zu machen. Sie würde den Wunsch ihrer Großmutter respektieren und dafür sorgen, dass er sich erfüllte.
    Dass du nichts riechen kannst, ist dir wohl bei diesen großen Worten leider entfallen, höhnte ihre innere Stimme, wie willst du das schaffen, ohne deine Nase? Das weiß ich nicht, dachte Paula, aber es gibt einen Weg. Irgendeinen Weg gibt es immer.
    Noria saß dösend unter einem Nelkenbaum. Als sie näher kamen und Noria aufstand, erkannte Paula, dass sie geweint hatte, und sie konnte sich keinen Reim darauf machen. Es waren die drei Worte gewesen, »Vanille«, »Kuckuck« und »Edmond«, die Noria berührt hatten, aber warum? Waren es alle Worte zusammen oder nur eines davon? Es war doch naheliegend, dass Mathilde an ihre große Liebe gedacht hatte, die mit der Vanille eng verknüpft war. Was Paula jedoch erstaunte, war der Kuckuck. Vielleicht bedeutete »Kuckuck« etwas Schlimmes auf Madagassisch, und das war es, worüber Noria weinte. Oder hatte Mathilde vielleicht nur so etwas gesagt wie: »Was zum Kuckuck fällt Ihnen ein?« Hatte es am Ende mit dem Lied vom Kuckuck in ihrem Brief zu tun? Es musste etwas zu bedeuten haben, aber was?
    Als sie wieder bei Mathildes Haus ankamen, fanden sie dort Villeneuve und Morten vor, die dabei waren, auf dem Grundstück ihre Zelte aufzuschlagen. Die Dorfvorsteherin verabschiedete sich, wünschte ihnen Glück und Gesundheit, legte ihre Hand kurz auf Nirinas Kopf und murmelte ein paar Worte. Paula hoffte, dass es eine Art Segen war.
    Nachdem sie gegangen war, band Paula Nirina von sich los und bat Noria, ihn einen Moment zu nehmen, weil sie sich ausstrecken wollte.
    »Sie überraschen mich«, sagte sie dann zu ihren Reisegefährten. »Ich dachte, Sie könnten es kaum erwarten, endlich weiterzuziehen.«
    »Wir waren uns einig, dass wir eine Frau wie Sie nicht alleinlassen können, Gott weiß, was dann passiert.« Morten lächelte sie freundlich an, aber sie glaubte ihm kein Wort. Paula sah zu Villeneuve, der bei Mortens Worten nickte. »Man war nicht gerade erfreut über unseren Besuch im Dorf. Und als sie gehört haben, dass es um dieses Land geht, wurden sie geradezu abweisend. Deshalb haben wir uns gedacht, wir sollten in der Nähe bleiben.«
    »Man hat meine Großmutter ermordet«, platzte es aus Paula heraus.
    »Oh, das tut mir leid«, nuschelte Morten. »Das ist ja fürchterlich.«
    »Es war nichts Persönliches«, mischte sich Noria ein, die Nirina wild hin und her

Weitere Kostenlose Bücher